Venezuela / Politik

Lateinamerika-Experten betonen Bedeutung der Chávez-Regierung

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Michael Zeuske
Michael Zeuske

Berlin. Mehrere Lateinamerika-Experten haben nach dem Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez (1954-2013) die Errungenschaften seiner Regierung hervorgehoben. Nach Ansicht des Historikers und Venezuela-Kenners Michael Zeuske ist mit Chávez "ein Hoffnungsträger der Armen in Lateinamerika gestorben". Chávez habe zwischen 1999 und 2013 die Wahrnehmung Lateinamerikas entscheidend verändert. Auch habe er viel für Venezuela sowie die 60 Prozent der Menschen getan, die ihn immer wieder gewählt haben. "Nicht erreicht hat er die Mittelklassen seines Landes und die Mehrzahl der urbanen Intellektuellen", so Zeuske, der sich derzeit auf Forschungsreise in Kuba aufhält. "Nach seinem Tod ist Chávez nun wirklich unbesiegbar", fügte der Historiker an.

"Wenn Venezuela die nächsten Wochen ohne Putsch übersteht, dann wird sich zweierlei deutlicher abzeichnen: Chávez als Allianzpolitiker und Kommunikator mit extrem charismatischer Potenz selbst in Bezug auf die, die ihn hassten und hassen, wird fehlen", so Zeuske. Chávez als "Heiliger" der Armen, als Mythos, werde die Chavisten aber eher stärker zusammenbringen.

Auch der Schweizer Onkologe Franco Cavalli äußerte sich auf Anfrage von amerika21.de zu der Krankheit des Anführers der Bolivarischen Revolution. Hugo Chávez habe immer zuerst an seine politischen Pflichten und an seine  Regierungsfunktion gedacht, erinnerte sich der ehemalige Präsident der Internationalen Vereinigung gegen den Krebs (IUCC). "Von dem, was ich erfahren habe, hat er die Ratschläge der Ärzte nicht befolgt, sich Zeit für die Behandlung seiner Krankheit zu nehmen. In diesem Sinne hat er sich sicher ein Stück weit 'geopfert'", sagte Cavalli. Dies erkläre teilweise auch die sehr emotionale Zuneigung zu dem "Comandante", die man in diesen Tagen in allen Bildern aus Venezuela sehen könne. Vor allem die Ärmeren hätten gewusst und gefühlt, dass er ihnen nicht nur zugeneigt war, sondern dass er sich geradezu für sie aufgeopfert habe. "Es würde mich deswegen nicht wundern, wenn er in Zukunft zu einer Art 'zweiter Che' werden würde", so Cavalli.

Nach Ansicht des Mediziners und Lateinamerika-Kenners Cavalli war Chávez die wichtigste Figur im andauernden Einigungsprozess Lateinamerikas. "Ohne ihn wäre dieser Prozess vielleicht gar nicht initiiert worden", sagte er. Ohne Chávez hätten viele Völker Lateinamerikas zudem weniger den Mut gehabt, die neoliberalen Regierungen in ihren jeweiligen Ländern zu stürzen. Das erkläre auch die Wut der US-Regierungen. Washington sei es schließlich bislang nur in Honduras und Paraguay gelungen, den Emanzipationsprozess mit Staatsstreichen umzukehren.

Ebenfalls gegenüber amerika21.de hatte der Schweizer Soziologe und Mitarbeiter des Menschenrechtsausschusses der UNO, Jean Ziegler, die sozialpolitischen Erfolge der linksgerichteten Regierungen in Lateinamerika bereits Ende Januar hervorgehoben. Die alternativen Ansätze in der Süd-Süd-Kooperation Lateinamerikas seien "exzellente Beispiele für die Risse in der Mauer der weltweiten Unterdrückung, von der Che Guevara einmal gesprochen hat", sagte Ziegler in dem Interview.

Nach Ansicht Jean Zieglers hat der Reformprozess in Venezuela mit den als "Misiones" bekannten Sozialprogrammen tatsächlich messbare Erfolge vorzuweisen. "Dazu gehört dort auch der Zugang zu Grundnahrungsmitteln", so Ziegler, der zugleich auf die "Misión Milagro" gegen Erblindung verwies. Diesem Programm liege die Erkenntnis zugrunde, dass Erblinden meist durch den Mangel an Vitamin A verursacht wird. Allein aus diesem Grund verliere weltweit alle drei Minuten ein Mensch sein Augenlicht, so Ziegler. "Die Misión Milagro hat in Venezuela zu einem erheblichen Rückgang der ernährungsbedingten Erblindung geführt", urteilte er.