Befreiungstheologe beim Papst: Vatikan nun links?

Papst empfängt Namensgeber der Befreiungstheologie, Gustavo Gutierrez. Gegner sollen den Papst bereits "Ché Bergoglio" nennen

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Nähert sich Papst Franziskus der Befreiungstheologie an?
Nähert sich Papst Franziskus der Befreiungstheologie an?

Vatikanstadt. Nach Angaben des Vatikansprechers Federico Lombardi hat Papst Franziskus den 85-jährigen Dominikaner und Befreiungstheologen

Gustavo Gutiérrez am 12. September nach der Frühmesse im vatikanischen Gästehaus Santa Marta empfangen. Der Präfekt der Römischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, hatte bereits vor zwei Wochen eine Zusammenkunft des prominenten Befreiungstheologen mit dem Papst angekündigt.

Mit seinem 1971 erstmals veröffentlichten Buch "Theologie der Befreiung" hatte Gutiérrez der Bewegung ihren Namen gegeben. Die Befreiungstheologie stand jahrelang unter strenger Beobachtung der vatikanischen Glaubenskongregation, vor allem unter ihrem damaligen Präfekten Kardinal Joseph Ratzinger. Der Strömung wurde die Übernahme marxistischer Überzeugungen vorgeworfen. Zahlreiche Theologen und Priester wurden in diesem Zusammenhang vom Vatikan gemaßregelt und von ihren Ämtern suspendiert. Eines der bekanntesten Beispiele ist der nikaraguanische Befreiungstheologe und ehemalige Minister der sandinistischen Regierung, Ernesto Cardenal.

Gutiérrez selbst geriet nie ernsthaft in Konflikt mir Rom, doch auch sein Werk war durch die Glaubenskongregation eingehend geprüft wurden. Vor zwei Wochen hatten der vom Papst neuernannte Präfekt der Römischen Glaubenskongregation und Gutiérrez im norditalienischen Mantua die italienische Fassung eines gemeinsamen Buchs über die Befreiungstheologie vorgestellt. In diesem Zusammenhang sagte Gutiérrez in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa: "Die Theologie der Befreiung macht nichts weiter, als über das Evangelium zu sprechen: Die Sorge der Kirche um die Ärmsten der Armen."

Der erste offizielle Empfang eines Befreiungstheologen durch Papst Franziskus zeugt von einem profunden Wandel des päpstlichen Diskurses und Agierens. Im päpstlichen Diskurswandel ist dabei besonders auffallend, dass er direkte Anleihen aus der Theologie der Befreiung nimmt. Der Jesuit Juan Pablo Scannone, 81, gilt als bedeutendster Theologe Argentiniens und als eine der prägendsten Persönlichkeiten und Vorbilder von Jorge Mario Bergoglio, so der Name des Papstes. Scannone war Professor von Bergoglio. In einem Interview mit der katholischen Zeitung El Reino anlässlich der ersten 100 Amtstage des neuen Papstes, erläuterte er die Grundlagen der argentinischen Theologie des Volkes, der auch der neue Papst, nach eigenen Worten, anhängt. "Unserer Theologie versteht sich als eine Linie der Befreiungstheologie und verbindet historische Praxis mit theologischer Reflexion auf der Basis von Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie zieht eine historisch-kulturelle der sozioökonomischen Analyse vor. Hierin liegt der grundsätzliche Unterschied zum Marxismus." Die Theologie des Volkes erkennt die soziale Ungerechtigkeit in der Welt, nutzt aber keinen Klassenbegriff, sondern legt den Akzent eher auf die Einheit des Volkes statt auf den Klassenkampf, so Scannone abschließend.

Neben den Anleihen aus der Befreiungstheologie ist auch der starke Fokus auffällig, den der Papst auf Lateinamerika legt. Von den innerhalb seiner ersten 100 Tagen von ihm empfangenen acht Staatsoberhäuptern waren sechs lateinamerikanische Präsidenten und mit Ausnahme des kolumbianischen Staatspräsidenten Juan Manuel Santos, waren alle anderen Vertreter von links-progressiven Regierungen wie Rafael Correa aus Ecuador, José Mujica aus Uruguay und Nicolás Maduro, der Präsident Venezuelas.

Nach Berichten von argentinischen und italienischen Zeitungen sollen die vatikaninternen Gegner in der Kurie den Papst mittlerweile "Ché Bergoglio" und "südamerikanischen Demagogen" nennen.