Guatemala / Wirtschaft

Proteste gegen Ausbau des Stromnetzes in Guatemala

Land indigener Gemeinden soll für Stromtrassen enteignet werden. Forderung nach Nationalisierung der Stromversorgung

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Demonstration am 6. März in Guatemala-Stadt
Demonstration am 6. März in Guatemala-Stadt

Guatemala-Stadt. Mindestens 8.000 Menschen aus fast allen Teilen des Landes haben am 6. März in der Hauptstadt Guatemalas demonstriert, um eine Verfassungsklage gegen den geplanten Ausbau des Stromnetzes zu unterstützen. Sie forderten außerdem die Nationalisierung der Stromversorgung und die Annahme einer Vorlage für ein "Gesetz zur ganzheitlichen ländlichen Entwicklung" durch den Kongress.

Vertreter von 29 Gemeinden und Bauernorganisationen stellten am gleichen Tag vor dem Verfassungsgericht dar, warum das Regierungsdekret 145-2013 verfassungswidrig sei:. Nach ihrer Auffassung verstoße es gegen das Recht auf Privatbesitz und kollektives Eigentum sowie gegen das Recht der indigenen Völker auf vorherige Information und Mitbestimmung. Mit dem Dekret war ein Plan zur Ausweitung des Stromnetzes (Plan de Expansión de Transmisión Eléctrica – PET) zur Angelegenheit von  “nationaler Dringlichkeit” erklärt worden. 800 Kilometer Stromkabel sollen demnach verlegt werden, um 75 ländliche Munizipien mit Strom zu versorgen. Die Investitionssumme liegt bei umgerechnet 374 Millionen US-Dollar. Am 13. November 2013 hatten Gemeindevertreter und verschiedene Bauernorganisationen wie CODECA und CENOC eine Verfassungsklage dagegen eingelegt. Mit dem Dekret zur nationalen Dringlichkeit wird die Ausweitung des Stromnetz über das Recht auf Privatbesitz gestellt. Nun liegt es am Verfassungsgericht, zu entscheiden.

Die Stromversorgung Guatemalas ist nach den Friedensverträgen von 1996 zur Beendigung des Bürgerkrieges größtenteils privatisiert worden. Mit der Umsetzung des PET wurde 2010 ein kolumbianisches Unternehmen, die Transportadora de Energía de Centroamérica, S. A. (TRECSA), beauftragt. Auf Grund des Widerstands der Gemeinden hat sich die Umsetzung bereits verzögert. Im nördlichen Gebiet Quiche wurden Fälle bekannt, in denen mit unlauteren Mitteln versucht wurde, die Bewohner zur Zustimmung zur Enteignung eines Teils ihres Grundstücks zu zwingen.

"Das Regierungsdekret verstößt gegen das Recht auf Privat- und Gemeindeeigentum, denn zum Aufstellen der Strommasten wird unser Land enteignet”, erklärte in seiner Muttersprache maya k'iche' der Sprecher der Gemeinden und Organisationen, Pedro Sica Chicaj aus Cunén, Quiché, vor dem Verfassungsgericht. "Über Nationale Dringlichkeit muss der Kongress als Vertreter des Volkes entscheiden. Der Präsident hat seine Funktionen mit der Verabschiedung dieses Dekrets einzig von Regierungsseite überschritten”, argumentiert Ramon Cadena von der Internationalen JuristInnenkommission (CIJ), die die Gemeinden und Organisationen rechtlich berät. "Es verletzt das Recht auf Privateigentum, schadet der Umwelt und außerdem wurden die Betroffenen, unter anderem indigene Völker, nicht vorher befragt."

Auch der Menschenrechtsombudsmann Guatemalas unterstützt mit einem Amicus curiae die Verfassungsklage der Gemeinden und Organisationen und betont, dass nach internationalen Gesetzen wie der ILO-Konvention 169 die indigenen Völker das Recht auf eine vorherige, informierte Abstimmung haben. Außerdem äußert er seine Besorgnis, dass derartige Infrastruktur- und Megaprojekte zu zunehmdenden Konflikten in indigenen Gebieten führen.

Regierung und Unternehmen sind mit der Elektrifizierung auf die bessere Ausschöpfung der Investitionspotentiale aus. Der Elektrizitätssektor befürchtet nun bei einem Erfolg der Klage Verluste in Millardenhöhe. Durch soziale Konflikte rund um die Stromgewinnung und -verteilung seien bereits 17 Projekte suspendiert worden, was einen Verlust von 12000 Millionen Quetzal (das entspricht etwa einer Millarde Euro) bedeute. Die Bäuerinnen und Bauern streben dagegen ein selbstbestimmtes Landwirtschaftsmodell an. Ramon Cadena stellte klar, dass die Gemeinden "nicht gegen Entwicklung an sich sind, sondern gegen das Modell, dass man ihnen aufdrücken will”, um Zugang zur Stromversorgung zu bekommen.

Bereits im Konflikt um den Bau des umstrittenen Megastaudamm Xalalá überschritt das staatliche Elektrizitätsinstitut seine Kompetenzen, indem es die ländliche Stromversorgung an die Akzeptanz des Staudamms knüpft.