Kolumbien: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Gericht wertet Mord an Gewerkschafter in Nestlé-Unternehmen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Tat von Geheimdienst und Paramilitärs

Bogotá. Der Strafgerichtshof von Bogotá hat unlängst den Paramilitär Hever Ovido Neiro Bello (Kampfname El Abogado – der Anwalt) als Mittäter
 bei der Ermordung

des kolumbianischen Gewerkschaftsführers Luciano Romero Molina verurteilt und die Tat als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" eingestuft. Das Strafmaß beläuft sich auf 32,5 Jahre Gefängnis und die Zahlung einer Strafgebühr in Höhe von 2.750 kolumbianischen Mindestlöhnen (cirka 900.000 US-Dollar).

Romero war Gewerkschaftsführer der kolumbianischen "Gewerkschaft der Arbeiter in der Nahrungsmittelindustrie“ (Sinaltrainal), Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Nestlé-Cicolac-Arbeiter. Seiner Ermordung durch Paramilitärs in Valledupar im September 2005 waren viele Todesdrohungen vorausgegangen, die im Kontext eines langjährigen Arbeitskonflikts zwischen Sinaltrainal und der Nestlé-Fabrik Cicolac standen.

Die Ermordung geschah nur einen Tag vor der geplanten Abreise von Luciano Romero in die Schweiz, wo er in einer öffentlichen Anhörung gegen Nestlé aussagen sollte. Dabei ging es um den Vorwurf, dass Nestlé in seinen kolumbianischen Produktionsstätten zahlreiche Arbeitsschutzrechte verletzt.

Im Zuge des aktuellen Prozesses wurden zahlreiche ehemalige Paramilitärs unter Eid verhört. Die Ergebnisse der Befragungen bestätigten die intensive Zusammenarbeit von Geheimdienst-, Militär- und Polizeikräften mit den Paramilitärs in Kolumbien. So wird beispielsweise in der Urteilsbegründung die Aussage eines demobilisierten Paramilitärs in der Region von Valledupar zitiert: "Mit dem Chef des DAS (Departamento Administrativo de Seguridad – der kolumbianische Inlandsgeheimdienst) von Valledupar, Sotomayor, und dem Kriminalbeamten Riaño koordinierten wir alle urbanen Aktivitäten so, dass diese immer als von der DAS selbst durchgeführt erschienen." Und weiter: "Dafür stellten sie uns die nötige Infrastruktur zur Verfügung wie Autos des DAS und Handschellen für den Fall, dass wir illegale Festnahmen realisieren sollten."

Ebenso wird die Aussage des ehemaligen Kommandanten der paramilitärischen Gruppe "Front der Märtyrer von Valledupar" hervorgehoben: "Alles war mit den staatlichen Autoritäten koordiniert. Die Polizei gab uns ein Zeitfenster für straffreies Morden, ich glaube es waren vier oder fünf Morde pro Woche. Zudem hatten wir ein Funkgerät der Polizei und wussten daher alles, was die Polizei tat."

Die unmittelbaren Mörder von Romero waren bereits 2006 und 2007 in Kolumbien verurteilt worden. Dies gilt als absolute Ausnahme, denn Kolumbien ist das Land mit der weltweit höchsten Rate ermordeter Gewerkschafter bei gleichzeitig sehr geringer Aufklärungsrate. Das kolumbianische Gericht hatte am Ende des Verfahrens 2007 angeordnet, die Rolle der Nestlé-Tochter Cicolac strafrechtlich zu untersuchen, was jedoch nie geschah. Weder in der Schweiz – dem Hauptsitz des Unternehmens – noch in Kolumbien nahm die jeweilige Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf, obwohl es hinreichende Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verfolgung gab.

Stattdessen übernahmen kolumbianische Juristen, die Gewerkschaft Sinaltrainal sowie das "European Center for Constitutional und and Human Rights" (ECCHR) mit Sitz in Berlin den Fall und erhoben Anzeige gegen Nestlé. Dies stellt einen Präzedenzfall dar, denn damit wird erstmals versucht, ein Schweizer Unternehmen für im Ausland begangenes Unrecht in der Schweiz haftbar zu machen. Die rechtliche Handhabe dafür ist die 2003 in das Schweizerische Strafgesetzbuch eingefügte Regelung des Artikels 102 zur Strafbarkeit von Unternehmen.



Am 1. Mai 2013 entschied die Staatsanwaltschaft des Schweizer Kantons Waadt, keine Ermittlungen gegen Manager der Nestlé AG oder das Unternehmen selbst einzuleiten. Das ECCHR erklärte dazu in einer Pressemitteilung: "Anstatt in der gebotenen Geschwindigkeit die Ermittlungen zu beginnen, haben die Staatsanwaltschaften das Verfahren durch Formalien verzögert, bis sie die Tat schließlich als verjährt erklären konnten."

Der Mord an einem weiteren Nestlé-Arbeiter und Gewerkschafter in Kolumbien im vergangenen November macht deutlich, dass sich an der Haltung des Nestlé-Konzerns zu Gewerkschaften nichts geändert hat. Denn erneut war der ermordete Gewerkschafter zuvor durch das kolumbianische Management von Nestlé öffentlich diffamiert worden.