Entwicklungsarbeit und Profit

Eigennutz des Exportgiganten steht ganz oben auf der BMZ-Agenda

Die jüngste Lateinamerika-Rundreise von Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel hat erneut die Frage aufgeworfen, was deutsche “Entwicklungszusammenarbeit” (EZ) eigentlich will. Das Bild, das die breite Öffentlichkeit von der Arbeit der Entwicklungshelfer hat, ist das vom brunnenbohrenden, besorgten Experten im Dienste der Menschheit. Das “Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung” (BMZ) nährt diese Einschätzung. Hehre Ziele hat sich das BMZ auf die schwarz-rot-goldenen Fahnen geschrieben. “Menschen die Freiheit geben”, damit diese “ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben” gestalten können, “Globalisierung zu einer Chance für alle Menschen” machen und den “Schutz der Menschenrechte”. Mit diesen Segnungen will die Bundesregierung in den “Sektoren Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, gute Regierungsführung und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung” die ganze Welt genesen.

Doch ist es Eigennutz des Exportgiganten, der ganz oben auf der BMZ-Agenda steht. Unter Minister Niebel, der sein schütteres Haupt auch auf seiner Auslandsreise auf den lateinamerikanischen Kontinent, den es wieder “ernst zu nehmen” gelte, mit einer Soldatenmütze schmückt, ist die EZ auf bestem Wege, zum verlängerten Arm der deutschen Wirtschaft zu mutieren. Die seit 1995 verankerte Armutsbekämpfung ist Vergangenheit. Stattdessen weht der “frische Wind” der FDP und ihrer “liberalen Maßstäbe”, die auf die “Stärkung der Eigenverantwortung” pochen. “In der Verfolgung der Ziele unserer Entwicklungspolitik kommen unsere Werte und Interessen gleichermaßen zum Ausdruck”, heißt es erfrischend offen im aktuellen Koalitionsvertrag. Die Begriffe Neue Märkte und ungehinderter Zugang zu Rohstoffen wären noch verständlicher gewesen.

Zur Marktdurchdringung setzt das BMZ auf das “innovative Instrument” der öffentlich-privaten Partnerschaften, “Public Private Partnerships” (PPP). Dabei arbeiten Staat im Ausland und deutsche Privatwirtschaft gemeinsam am “Aufbau von Infrastruktur” wie Wasserversorgung und Abfallwirtschaft. Das BMZ schickt Geld, Kontakte, Expertise und Know-how nach Übersee. Was Niebel eine “Win-Win-Situation” nennt, ist nicht mehr als eine verschleierte Privatisierungsstrategie mit Spätzündung: Nach Abschluss der geteilten Anschubfinanzierung gehen alle Betreiberrechte an das Unternehmen aus Deutschland. In Brasilien hat das hessische Unternehmen “Enviro Chemie” in Rio de Janeiro eine Kläranlage zu 50 Prozent vom BMZ bezahlt bekommen, der Umsatz der Firma hat sich seitdem von 20 auf 70 Millionen Euro erhöht.

Applaus bekommt “Türöffner” Niebel vom “Bund Deutscher Industrieller” (BDI). Seit  Februar 2010 wird am “Roundtable” laut BMZ-Staatssekretärin Gudrun Kopp ein “fortlaufender Dialog mit der Wirtschaft” geführt, “Entwicklungs-Scouts” sollen in allen großen Wirtschaftsverbänden sitzen. “Den Menschen ist geholfen, sobald vor Ort Arbeitsplätze und Infrastruktur entstehen”, freut sich BDI-Abteilungsleiter Außenwirtschaft Oliver Wieck über die Aufstockung der PPP-Mittel um 25 Prozent von 48 auf 60 Millionen Euro. Das Versprechen der Politik nach einer “Verzahnung von Außenwirtschaft und EZ” aus dem Vorgänger-Koalitionsvertrag von SPD/CDU/CSU ist eingehalten worden. “Ziel ist eine weitere Beschleunigung der Zusammenarbeit von Auswärtigem Amt, Bundesministerium für Wirtschaft und BMZ”, hieß es 2005.

Für ganz andere Zwecke hat die Öl- und Chemieindustrie das Potential der PPP entdeckt. An einem der größten Industrie-Standorte Mexikos haben der Chemie-Gigant BASF zusammen mit den vor Ort operierenden Energie-Multis Shell, Total und Mitsui unter Leitung der BMZ-Organisation “Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit” (GTZ) im Rahmen eines PPP eine Müllkompostierungsanlage bezahlt. Seit 2006 soll die Bevölkerung zu “guten Bürgern” in Sachen “Umweltbewusstsein” erzogen werden, so die GTZ. BMZ und Unternehmen feiern ihren Einsatz für die Umwelt als “Erfolgsgeschichte”, gute Presse und direkter Kontakt zur Lokalpolitik sind sicher. Altamira versinkt weiter im Müll. Die Müllanlage arbeitet noch immer nicht, es gibt zu wenig Müllautos. Korruptionsvorwürfe gegen den Bürgermeister reißen nicht ab, Pipelines explodieren mangels Sicherheit, Strände verseuchen nach Öl-Lecks, rund 20 Pannen verursachen die Multis pro Jahr, verpesten Grundwasser, Böden und Luft.

Die BASF und ihre Abteilung Öffentlichkeitsarbeit “Nachhaltige Entwicklung” aber freut sich über eine gelungene Image-Kampagne. Der Produzent von Millionen Tonnen Plastikmüll mit einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro (2009) präsentiert sich als “integraler Bestandteil der Gesellschaft”, der zur “wirtschaftlichen, sozialen, aber auch zum Schutz der Umwelt” beitragen will. Verantwortungsvolle Unternehmer? In den 1970igern hatte BASF-Chef Bernhard nach “unerhörten Vorwürfen gegen die Industrie” als erster zur “publizistischen Gegenmaßnahme” geblasen, Regierungsstellen hatten in Fischen des Rhein-Main-Gebietes “Farbstoffe der BASF” entdeckt. Angesichts dieser “unerfreulichen Situation” wurde eine Umwelt-Strategie ersonnen. Es  sei “unternehmenspolitisch wichtig”, durch “aktives Vorgehen die Behörden zu einer kooperativen Einstellung zu veranlassen”. Die Volksvertreter gelte es “davon abzuhalten, unter dem Eindruck der öffentlichen Diskussion zu stark belastende Auflagen zu machen”, kalkulierte der Chef jener Firma, die weder im Ersten Weltkrieg als Hersteller von Sprengstoff und Giftgas noch zu NS-Zeiten Schwierigkeiten mit Behörden hatte, ein Chemiewerk durfte zur Nutzung von “Rüstungsjuden” direkt neben Auschwitz gebaut werden.

Wie ernst es den Konzernen um die Umwelt ist, darauf machte zuletzt das “Climate Action Network Europe” (CAN) aufmerksam: Das deutsche Dreigestirns BASF, Bayer AG und E.ON hatte eine Wahlkampfspende in Höhe von 175.000 US-Dollar für die US-Kongresswahlen im Oktober 2010 an Politiker gezahlt, die den Klimawandel leugnen und Umweltschutzgesetze blockieren.