Mexiko / Politik

In 50 Schritten zum neuen Mexiko

Andrés Manuel López Obrador stellt sein Programm zur Neugründung der Nation vor

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Andrés Manuel López Obrador, der "legitime Präsident" Mexikos
Andrés Manuel López Obrador, der "legitime Präsident" Mexikos

"Für welche Partei spricht López Obrador?", fragt einer der Ordnungskräfte auf dem durch das Massaker von 1968 zu internationalem Ruhm gelangten Platz der Drei Kulturen in Mexiko-Stadt in die Runde. Ab neun Uhr morgens kommen hier Anhänger des "legitimen Präsidenten" zusammen, um im Hinblick auf die Gouverneurswahlen im Bundesstaat Mexiko im Juli 2011 die "Bewegung der Sozialen Einheit für eine Regierung des Volkes" (MUSOC-GP) offiziell vorzustellen. Die Beantwortung dieser Frage fällt anscheinend selbst Mexikanern nicht leicht.

Andrés Manuel López Obrador ist Mitglied der Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Er war ihr Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat 2006. Aus Protest gegen das von der gegenwärtigen Führung seiner Partei favorisierte Bündnis mit der konservativen Regierungspartei PAN hat er kürzlich das Ruhen seiner Mitgliedschaft beantragt und nunmehr an der Spitze der "Bewegung für die nationale Erneuerung" (MORENA) seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2012 erklärt.

Für López Obrador gehört die PAN zu der "Mafia, die uns die Präsidentschaft gestohlen hat". Er lehnt die vom alten und neuen Parteichef favorisierte Koalition kategorisch ab und ruft dazu auf, jenseits der Parteistrukturen eine Bewegung von unten aufzubauen. Allein das organisierte Volk könne das Volk retten und dem Niedergang die Stirn bieten, betont er wiederholt in den diversen Reden dieser Tage.

Als am 20. März hinter verschlossenen Türen eine neue Führung ausgehandelt wurde, die mit Jesus Zembrano vom pragmatischen Flügel als Parteivorsitzendem und Dolores Padierna von der eher linken Strömung als Generalsekretärin das Gleichgewicht zwischen den verfeindeten Flügeln der PRD herstellen soll, stellte López Obrador im überfüllten Auditorio Nacional sein Projekt zur Neugründung der Nation vor. Bekannte Wissenschaftler aller Fachrichtungen, namhafte Intellektuelle und Politiker haben ein Konzept ausgearbeitet, das die ökonomische, rechtliche und moralische Erneuerung der Republik Mexiko in Angriff nehmen soll. Es sei mehr als ein Regierungsprogramm, eher ein Plan für den Wiederaufbau, der die Mitarbeit aller erfordere, so López Obrador in seiner Eröffnungsrede.

In seinem Beitrag geht er auf fünfzig Vorhaben ein, deren sofortige Umsetzung er für die nationale Erneuerung des Landes als unerlässlich erachtet. An erster Stelle stehen das Bekenntnis zur Entmachtung der Oligarchie auf friedlichem Wege sowie die strikte Achtung der Verfassung. Hervorzuheben ist das Prinzip der Überprüfung des Mandats, nach dem sich der Präsident nach drei Jahren einer Abstimmung über den weiteren Verbleib im Amt stellen muss. Herr und Marine sollen sich sukzessive aus dem Anti-Drogen-Kampf zurückziehen und wieder ihre ursprünglichen Aufgaben wahrnehmen. Sie seien nicht dazu da, die sozialen Probleme zu lösen oder das Volk zu unterdrücken, so López Obrador.

Die Beziehung zum nördlichen Nachbarn USA, mit dem man 3.000 Kilometer Grenze teilt, sei eine Herausforderung und eine Chance für beide Seiten, sofern sie auf Achtung der nationalen Souveränität und wirtschaftlicher Kooperation basiere. Das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada sei zu überprüfen und im Hinblick auf Ungleichheiten zu korrigieren. Nicht militärische Kooperation oder Intervention, sondern Schaffung von Arbeitsplätzen in Mexiko könnten die Ursachen der Auswanderung beseitigen. In diesem Zusammenhang seien auch die allgemeinen Menschen- und Arbeitsrechte der Migranten aus den angrenzenden Ländern Lateinamerikas zu achten.

Die Beziehung zu anderen Nationen solle auf dem Prinzip der Nichtintervention und des Selbstbestimmungsrechts der Völker gestaltet werden. Meinungs- und Religionsfreiheit seien zu garantieren, ebenso Arbeitsrechte sowie das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. Kommunikationsmittel seien zu demokratisieren, die Macht der Monopole bei Fernsehen und Telefon zu brechen.

Im wirtschaftlichen Bereich habe unbedingt die Förderung produktiver Bereiche vor der Spekulation Vorrang, kleine und mittlere Unternehmen seien zu bevorzugen, ebenso die soziale Ökonomie und hier vor allem Kooperativen. In den durch die Emigration verödeten Regionen müsse die landwirtschaftliche Aktivität mit Schwerpunkt auf die Herstellung nationaler Produkte reaktiviert werden. Dies garantiere Nahrungsmittelsouveränität sowie ein Ende der Auswanderung.

Möglich und nötig sei auch der Bau von fünf Raffinerien, um sich von der Einfuhr von Benzin unabhängig zu machen. Der Sozialstaat müsse für alle kostenlosen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung garantieren, den indigenen Gemeinschaften sei die historische Schuld zu begleichen. Das kulturelle Erbe der Nation, der Reichtum und die Diversität der Natur sei zu schützen.

Man müsse ständig im Hinterkopf haben, so López Obrador zum Abschluss seiner Rede, dass die Oligarchie weiterhin existiere und ihre Privilegien verteidige. Allerdings mit dem Unterschied, dass nicht mehr sie das Sagen habe, sondern die Regierung des Volkes. Dafür sei es unerlässlich, eine Volksmacht aufzubauen, die die neue Regierung begleite und ihr Rückhalt gebe.

Ein revolutionäres Projekt, vor dem man Angst haben muss? Es handelt sich wohl eher um ein rationales Arbeitsprogramm zur Rettung eines von Gewalt und Korruption erschütterten Staatswesens, das die Interessen aller bedienen könnte. Wer denn nun die wirkliche Gefahr für Mexiko sei, fragt folgerichtig ein Kommentator der linken Tageszeitung La Jornada.