Lateinamerikas Beziehungen zu Libyen

Im vergangenen Jahrzehnt baute Gaddafi-Libyen seine Beziehungen zu verschiedenen Staaten Lateinamerikas und der Karibik aus.

Im Mittelmeer-Anrainerstaat Libyen herrscht seit einem halben Jahr Bürgerkrieg. Muammar al-Gaddafi, seit 1969 Staatschef bzw. “Revolutionsführer“ des Landes, verfolgte zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Prioritäten in seiner Außenpolitik. Im vergangenen Jahrzehnt baute Gaddafi-Libyen seine Beziehungen zu verschiedenen Staaten Lateinamerikas und der Karibik aus. Aufgrund der hohen Steuern, die der libysche Staat auf die Erdölförderung erhebt, hat Tripolis enormes Kapital, um eine souveräne Außenpolitik zu führen.[1]

Venezuela

Allen voran stehen die libyschen Beziehungen zu Venezuela. Bereits seit 1962 sind beide Länder in der OPEC vertreten, wo sie ihre Ölförderungspolitik koordinieren. Vor über 10 Jahren besuchte der venezolanische Präsident Hugo Chavez zum ersten Mal Libyen.[2] Chavez reiste mehrmals die folgenden Jahre in das Land am Mittelmeer, unter anderem um die Entwicklung des Ölpreises zu diskutieren.[3] Darüber hinaus waren Venezuela und Libyen zwei der Staaten, die sich darauf einigten, eine so genannte Gas-OPEC gründen zu wollen.[4] Im vergangenen Jahrzehnt wurde eine Direktflugverbindung Caracas-Tripolis eingerichtet und Verträge zur landwirtschaftlichen Kooperation sowie der gemeinsamen Nutzung der libyschen Meeresgewässer unterzeichnet.[5] Im November 2010 erklärten Libyen und Venezuela einen Fonds im Umfang von einer Milliarde US-Dollar zur Realisierung gemeinsamer Projekte einzurichten.[6]

Hugo Chavez und Muammar al-Gaddafi diskutierten bei einem Besuch des venezolanischen Präsidenten in Libyen die Gründung einer Südatlantischen Vertragsorganisation (SATO) als Gegenstück zur NATO.[7] Das zu gründende Verteidigungsbündnis sollte dem Einfluss der USA und Europas etwas aus dem Süden entgegensetzen. Die beiden Staatschefs setzten sich bei unterschiedlichen Gelegenheiten für engere südamerikanisch-afrikanische Beziehungen ein.

Nicaragua

Die Beziehungen zwischen Libyen und Nicaragua reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Nach der Machtübernahme der Sandinisten in Managua kamen Gerüchte auf, dass libysche Berater in dem Land seien – doch diese waren falsch. Gaddafi wollte erreichen, dass in Managua sein “Grünes Buch“ verlesen wird, doch Tomás Borge, damals sandinistischer Innenminister, wimmelte ab.[8] Borge, bekannt für seine deutlichen Worte, nannte Gaddafi damals verrückt. Nach der liberalen Machtübernahme in Nicaragua und der Implementierung internationaler Sanktionen gegen Libyen Anfang der 1990er Jahre endeten die nicaraguanisch-libyschen Beziehungen.

Laut den von Wikileaks veröffentlichten Depeschen der US-Botschaft in Managua ist die Annäherung Nicaraguas an Libyen seit dem Wahlsieg Ortegas eine Priorität der nicaraguanischen Regierung. Libyer sollen visumsfrei ins Land einreisen dürfen[9] und der Ausbau der Beziehungen Nicaraguas zu Libyen erfolge ohne “Rücksicht auf andere“ Staaten.[10] Ortegas erste Auslandsreise, die ihn nach Venezuela, Kuba, Iran, Libyen, Algerien und in den Senegal führte, soll angeblich mit einem Jet Gaddafis bestritten worden sein.[11] Laut den eigentlich internen US-Dokumenten soll Gaddafi-Libyen Ortegas Nicaragua mit über 300 Millionen US-Dollar über die letzten vier Jahre unterstützt haben.[12]

Karibik

Neben den “großen“ linksregierten Ländern der Region baute Libyen in den vergangenen Jahren auch seine Beziehungen zu diversen Inselstaaten in der Karibik aus. Nachdem ein US-Gericht Grenada angewiesen hatte, ausstehende Schulden an die Republik China (Taiwan) zu bezahlen, wandte sich Grenada an Libyen.[13] Die nordafrikanische Volksrepublik gewährte dem Inselstaat einen Kredit von 1,9 Millionen US-Dollar. Der Kredit an Grenada war Teil eines 10 Millionen-Dollar-Kreditpaketes, welches Libyen der Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS) zukommen ließ.[14] Darüber hinaus hat die Libysche Volksrepublik im Jahr 2010 eine Entwicklungsbank auf St. Kitts (St. Kitts und Nevis) eröffnet, die für Entwicklungshilfe in der Karibik zuständig ist.[15] St. Vincent und die Grenadinen, ein Inselstaat der kleinen Antillen, der sowohl ALBA als auch CARICOM und der OECS angehört, war nach dem Hurrikane Tomas im vergangenen Jahr Empfänger von libyschen Mikrokrediten im Umfang von 250.000 US-Dollar, die dem Wiederaufbau gewidmet waren.[16]

Ebenso verbesserten sich die Beziehungen zwischen Libyen und dem venezolanischen Nachbarland Guyana. Im Hinterland Guyanas leben viele Menschen in Armut, weswegen sich die guyanische Regierung an Libyen wandte, um Großfarmen im Inland zu errichten. Bei dem Besuch des Präsidenten Guyanas Bharrat Jagdeo im Januar 2010 in Libyen wurde ein Einstieg Libyens in die guyanische Wirtschaft vereinbart. Das nordafrikanische Land ist so zu einem der Hauptpartner der Wirtschaft Guyanas aufgestiegen.[17]

Nach dem Erdbeben in Haiti zum Beginn des Jahres 2010 entsandte die libysche Regierung humanitäre Güter sowie Rettungs- und Assistenzteams, um der haitianischen Bevölkerung zu helfen.[18] Auch auf der anderen Seite der Insel Hispaniola ist Gaddafis Libyen präsent. 2009 nahmen Libyen und die Dominikanische Republik Beziehungen auf. Der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi sicherte dem dominikanischen Präsidenten zu, dass Libyen eine Ölraffinerie im verarmten Nordwesten des karibischen Landes errichten will.[19]

Südamerika

Brasilianische Firmen bauten ihre Beziehungen zu Libyen nach der Aufhebung der UN-Sanktionen Anfang der 00er Jahre aus. Die Konzerne Odebrecht, Andrade Gutierrez or Queiroz Galvão ergatterten bei Ausschreibungen Kontrakte im Umfang von über einer halben Milliarde US-Dollar. Der staatliche brasilianische Ölkonzern Petrobas beteiligt sich seit sechs Jahren an der Rohstoffförderung in Libyen. Vorläufiger Höhepunkt der brasilianisch-libyschen Beziehungen war ein Staatsbesuch des damaligen Präsidenten Brasiliens Lula da Silva in Libyen im Jahr 2009. Über 90 Geschäftsmänner begleiteten das brasilianische Staatsoberhaupt hierbei. Zu Beginn des libyschen Bürgerkrieges hielten sich 600 Brasilianer in dem Land auf.[20] Der bilaterale Handel der beiden Länder war im vergangenen Jahrzehnt um 289 Prozent gestiegen, der libysche Export nach Brasilien um 3111 Prozent.[21]

Libyen und Bolivien nahmen erst im Jahr 2008 diplomatische Beziehungen auf. Die Regierung von Evo Morales erhoffte sich Unterstützung vom energiereichen Libyen beim Ausbau der Energierohstoffförderung.[22]

Trotz der guten politischen Beziehungen zwischen Libyen und einigen Staaten der Region bleibt der Handel vernachlässigbar gering. Lediglich für die kleinen Inselstaaten in der Karibik sind die ökonomischen Beziehungen zu Libyen relevant. Durch das durch die libysche Erdölwirtschaft gewonnene Geld konnte Libyen eine vom Westen unabhängige Entwicklungshilfepolitik in der Region anstrengen.

Der Libysche Bürgerkrieg 2011

Anfang des Jahres begann nach gewaltsamen Unruhen in Libyen ein Bürgerkrieg, der sich bis heute hinzieht. Verschärft wurden die Kampfhandlungen durch ein militärisches Eingreifen der NATO-Staaten sowie der Luftwaffen der konservativen arabischen Öl-Monarchien. Die Intervention der Allianz gilt unter anderem auch der Unterstützung eines “Nationalen Übergangsrates“, der sich in der ostlibyschen Stadt Bengasi konstituiert hat. Von allen lateinamerikanischen und karibischen Staaten hat lediglich die konservative Martinelli-Regierung von Panama den Nationalen Übergangsrat als legitime Regierung Libyens anerkannt.[23]

Seit dem Beginn der internationalen Intervention kam es zu Friedensdemonstrationen in Barbados[24], Brasilien[25], Chile[26] und Nicaragua.[27] Brasilien enthielt sich als nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates während der Abstimmung zur Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates, das der Interventenkoalition als Vorwand für die Bombardierung des Landes am Mittelmeer dient. Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kuba, Ecuador, Paraguay, Uruguay und Venezuela sprachen sich gegen die NATO-Intervention aus. Kolumbien, welches für die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates stimmte, sowie Costa Rica, Mexiko, Panama und die Regierung von Alan García in Peru äußerten sich positiv zur NATO-Intervention in dem Mittelmeeranrainer.

Die meisten Staatschefs der karibischen Staaten äußerten sich nicht zu dem andauernden Krieg in Libyen, so unter anderem auch Guyana. Dominica und St. Lucia unterhalten weiterhin Beziehungen zu Gaddafi-Libyen.[28] Viele libysche Projekte, die in der Karibik geplant waren, liegen vorerst auf Eis. So sind der Bau der dominikanischen Raffinerie, die Eröffnung einer libyschen Botschaft auf St. Lucia und einer Entwicklungsbank auf St. Kitts vorerst gestoppt worden. Baldwin Spencer, Premierminister von Antigua und Barbuda, hat öffentlich verlautbart, dass sein Land die Entwicklungen in Libyen nervös beobachtet. Antigua und Barbuda ist, genau wie andere Karibikstaaten, hochgradig vom Öl abhängig, welches unter anderem auch aus dem Mittleren Osten stammt.[29]

Nach dem Beginn der Feindseligkeiten in Libyen gab der venezolanische Präsident Chavez einen Vorschlag für eine Friedenslösung in dem “Bruderland“ im Norden Afrikas bekannt. Eine internationale Friedenskommission solle die verfeindeten Seiten einander näher bringen und den Bürgerkrieg beenden.[30] Die Mitgliederländer des Staatenbundes ALBA, Ecuador, Bolivien, Kuba, Nicaragua, Dominica, Antigua und Barbuda sowie Saint Vincent und die Grenadinen schlossen sich dem Vorschlag von Chavez an.[31]

Regelmäßig kommen Gerüchte auf, dass Gaddafi in ein lateinamerikanisches Land, meist werden Nicaragua und Venezuela genannten, ins Exil gehen wird. Zuletzt wurde am 19. August gemeldet, dass ein venezolanisches Regierungsflugzeug angeblich in Tunesien warten würde, um den Gaddafi-Clan nach Venezuela zu bringen.[32] Zuletzt reiste eine libysche Delegation nach Nicaragua, Kuba und Venezuela und bat um Unterstützung für eine politische Lösung des andauernden Konfliktes in Libyen.[33]

Fazit

Der Konflikt in Libyen bleibt weiter latent. Die konservativen Regierungen Lateinamerikas, die meist gar keine Beziehungen zu dem Mittelmeerland unterhalten haben dürften, stellen sich klar auf die Seite der USA und der NATO. Die linksregierten Staaten der Region stehen aus “anti-imperialistischer Solidarität“ treu an der Seite Libyens, welches schon zu Zeiten des Kalten Krieges an der Seite der Sowjetunion kämpfte. Verschiedene kleinere Staaten in der Karibik sowie Guyana hatten in den vergangenen 10 Jahren, nachdem der Westen seine Entwicklungshilfen herunterfuhr, vermehrt Hilfe von Gaddafis Volksrepublik erhalten. Diese Staaten, die meist aus kleinen Inseln bestehen, wurden teilweise sehr abhängig vom ölreichen Libyen. Diese Inselrepubliken unterhalten weiterhin Beziehungen zu Tripolis und äußern sich zum aktuellen Krieg im Mittleren Osten nicht.



[1] Joachim Guilliard: Kolonialkrieg gegen Afrika, in: junge Welt, 28.07.2011. www.jungewelt.de/2011/07-28/015.php

[2] Chavez meets Gaddafi in Libya, 13.08.2000 news.bbc.co.uk/2/hi/americas/827066.stm

[3] Venezuela's Chavez, Libya's Gadhafi meet to discuss oil, 06.03.2006 www.usatoday.com/news/world/2006-05-17-libya-venezuela_x.htm

[4] Gas-OPEC kommt, 26.12.2008 amerika21.de/nachrichten/inhalt/2008/dez/Gas-OPEC

[5] Venezuela schließt 200 Verträge mit Afrika, 17.01.2011 amerika21.de/meldung/2011/01/20689/venezuela-200-vertraege-afrika

[6] Venezuela, Libya creating $1 billion fund, Chavez, 01.11.2010 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=2&i=5051&archive=1

[7] President Chávez is Due in Libya this Saturday, 24.10.2010 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=1&i=5027&archive=1

[8] Roger Miranda, William Ratliff: The Civil War in Nicaragua – Inside the Sandinistas, New Jersey 1993, S. 210-212.

[9] Cable 07MANAGUA2544, NICARAGUA: IRANIANS AND LIBYANS WELCOME, 08.12.2007 wikileaks.ch/cable/2007/12/07MANAGUA2544.html

[10] Cable 07MANAGUA2402, REGIONAL PARTNERS SHARE CONCERNS ABOUT DIRECTION OF ORTEGA GOVERNMENT, 30.10.2007 www.wikileaks.ch/cable/2007/10/07MANAGUA2402.html

[11] Cable 07MANAGUA1622, ORTEGA ADMINISTRATION AT SIX MONTHS, 02.07.2007 wikileaks.ch/cable/2007/07/07MANAGUA1622.html

[12] Gabriel Elizondo: Latin America's sudden silence on Gaddafi, 26.02.2011 blogs.aljazeera.net/americas/2011/02/25/latin-americas-sudden-silence-gaddafi

[13] Grenada Seeking Economic Help from Libya, 08.05.2010 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=1&i=4421&archive=1

[14] Libya to Provide Grenada with $1.9M Grant, 17.08.2010 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=2&i=4805&archive=1

[15] Libya to Establish Commercial Bank in St. Kitts, 06.02.2010 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=2&i=4066&archive=1

[16] Gonsalves hoping for a united vote at UN on Libya, 02.03.2011 www.jamaicaobserver.com/news/Gonsalves-hoping-for-a-united-vote-at-UN-on-Libya

[17] Libya to Boost Agriculture Ties with Guyana, 06.03.2009 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=2&i=2904&archive=1

[18] Arab Nations Unite in Relief Effort for Haiti, 27.01.2010 www.aaiusa.org/press/release/arab-nations-unite-in-relief-effort-for-haiti/

[20] Gabriel Elizondo: Brazil's business in Libya, 21.02.2011 blogs.aljazeera.net/americas/2011/02/21/brazils-business-libya

[21] Melina Costa: A empreitada brasileira na Líbia, 14.06.2010 www.estadao.com.br/noticias/impresso,a-empreitada-brasileira-na-libia,566165,0.htm

[22] Libya, Bolivia to Establish Diplomatic Relations, 17.08.2008 www.tripolipost.com/articledetail.asp?c=1&i=2264&archive=1

[23] Panamá reconoce al Consejo Nacional de Transición de Libia, 14.06.2011 mensual.prensa.com/mensual/contenido/2011/06/14/uhora/local_2011061418132483.asp

[25] Fabíola Ortiz: Brazil: Libya Attack Sours Obama-Rousseff Meeting, 25.03.2011 upsidedownworld.org/main/news-briefs-archives-68/2966-brazil-libya-attack-sours-obama-rousseff-meeting

[26] Chileans March against War, Obama's Visit, 21.03.2011 www.insidecostarica.com/dailynews/2011/march/21/latinamerica110302103.htm

[28] St Lucia maintains ties with Libya, 27.02.2011 www.guyanapress.com/?p=4980

[29] Kathy Barrett: Libyan investments in Caribbean under threat, 19.04.2011 english.aljazeera.net/indepth/features/2011/04/201141914463190398.html

[30] Chávez fordert internationale Friedenskommission für Libyen, 01.03.2011 amerika21.de/meldung/2011/03/25072/friedenskommission-libyen

[31] Jan Kühn: ALBA stützt Chávez-Vorschlag für Libyen, 05.03.2011 amerika21.de/nachrichten/2011/03/25267/chavez-libyen

[32] Chávez-Regierungsjet soll angeblich Gaddafi-Clan nach Venezuela bringen, 19.08.2011 de.rian.ru/politics/20110819/260164678.html

[33] Delegation aus Libyen in Nicaragua und Kuba, 04.08.2011 amerika21.de/meldung/2011/08/38773/libyen-nicaragua-kuba