TIPNIS-Bewohner sollen in Bolivien entscheiden

Im Konflikt um Straßenbau soll Volksbefragung anberaumt werden. Kritik von Opposition und Gegnern des Straßenbaus

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Die Befürworter der Straße nach ihrer Ankunft in La Paz
Die Befürworter der Straße nach ihrer Ankunft in La Paz in der vergangenen Woche

La Paz. Eine Volksbefragung soll den Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern eines Straßenbau-Projekts durch das "Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure" (TIPNIS) entschärfen. Am Donnerstagabend (Ortszeit) stimmte die Plurnationale Versammlung, das bolivianische Abgeordnetenhaus, für das Konsultations-Gesetz, nachdem am Mittwoch schon der Senat zugestimmt hatte. Das Gesetz war am Wochenende nach den Gesprächen zwischen den beiden Präsidentinnen von Senat und Abgeordnetenhaus mit den Befürwortern der Straße auf den Weg gebracht worden.

Vizepräsident Álvaro García Linera bat die, so wörtlich, internationale Gemeinschaft derweil um Hilfestellung und Begleitung der Befragung. Dies sei auch deshalb notwendig, weil einige Nichtregierungsorganisationen insbesondere mit Unterstützung der US-Entwicklungsagentur USAID die Konflikte in Bolivien schürten.

Am Wochenende war in La Paz eine hochrangig besetzte Komission mit den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern mit Vertretern von 40 der gut 60 TIPNIS-Gemeinden zusammengekommen. Zuvor war ein 40-Tage-Marsch von mehreren tausend Straßenbau-Befürwortern aus dem Park eingetroffen. Nun sollen innerhalb 120 Tagen die Bewohner des TIPNIS über den Bau der umstrittenen Verbindungsstraße zwischen dem Hochland-Departament Cochabamba und Beni im Tiefland entscheiden. Das Ergebnis der Befragung der rund 5100 indigenen Parkbewohner der Völker der Mojeño-Trinitarias, Yuracarés und Chimanes ist bindend. Ihre eigenen Formen und Traditionen der Abstimmung sollen dabei akzeptiert und die Befragung in fünf Sprachen organisiert werden.

Damit könnte der Weg frei sein für eine friedliche Lösung des seit Monaten schwelenden Straßenbau-Streits. Im vergangenen August war ein Protestmarsch gegen die gut 300 Kilometer lange Straße gestartet worden, der im Oktober zum Baustopp und später zu einem Gesetz geführt hatte, mit dem der Park unberührbar erklärt wurde. "Diejenigen werden über die Angelegenheit entscheiden, die wirklich im TIPNIS leben, und das sind die Indigenen", sagte Rodolfo Machaca, Vorsitzender der mächtigen Bauernbewegung CSUTCB. "Wir hoffen dass die Ergebnisse respektiert werden." Allerdings hat der Verband der Tiefland-Indigenen CIDOB bereits seinen Widerstand gegen die Aufhebung des TIPNIS-Gesetzes vom vergangenen Jahr angekündigt.

Ihre Organisation werde keine Befragung akzeptieren, die der Verfassung widerspricht, sagte Betty Romere vom CIDOB der Zeitung Cambio. Rechte seien nicht verhandelbar, denn schließlich habe der Straßenbau – allerdings der Sektion I, nicht der umstrittenen Sektion II durch TIPNIS – bereits begonnen. Juan Del Granado, Parteichef der "Bewegeung ohne Angst" (MSM) und ehemaliger Bürgermeister von La Paz, rief Präsident Morales dazu auf, das Gesetz zur Befragung zu stoppen.

Der Senator des Oppositionsbündnisses Convergencia Nacional, Bernard Gutierrez, nannte das Gesetz zur Befragung Anfang der Woche eine juristische und politische Absurdität. Zudem zweifelte er daran, dass es die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erhält. Allerdings verließ die Fraktion der indigenen Abgeordneten das Plenum vor der entscheidenden Abstimmung. Sie hatten kürzlich eine eigene Parlamentsgruppe gebildet und sind mit dem CIDOB verbunden, der im vergangenen Jahr den Marsch gegen die Straße angeführt hatte. Der Vorsitzende der Verfassungskomission des Abgeordnetenhauses Héctor Arce sagte zur Rechtslage: "Es wurde eine vollständige Überprüfung des Gesetzes vorgenommen, alle verfassungsrechtlichen Grundlagen wurden berücksichtigt, dem Plenum wurde die Annahme ohne Änderungen empfohlen."

Die Konsultation soll im Sinne der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) durchgeführt werden. Danach sind die Ergebnisse der Befragung für Parlament und Regierung zu 100 Prozent bindend. In jahrelanger Lobbyarbeit haben Umweltschutzgruppen und Indigenen-Verbände weltweit für die Einführung des Mitbestimmungs-Gesetzes gekämpft. Die ILO-Regeln fanden Eingang in die UN-Erklärung der Rechte indigener Völker. Boliviens neue Verfassung von 2009 hatte die Indigenen-Rechte als erster Staat der Erde direkt übernommen. Die Konvention 169 sieht vor, dass die Bewohner eines Gebietes über Infrastruktur oder Ausbeutung von Bodenschätzen mitbestimmen.

Update 10.2.2012, 9 Uhr: Abstimmung in der Plurinationalen Versammlung ergänzt.