Brasilien: Vorstoß gegen Amnestiegesetz von 1979

Staatsanwälte sehen eine Chance, das Amnestiegesetz auszuhebeln. Sie wollen die Geschichte von fünf Opfern der Militärdiktatur ans Tageslicht bringen

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Die Verschwundenen der Guerrilha do Araguaia
Die Verschwundenen der Guerrilha do Araguaia

Brasília. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft fordert Anklage gegen einen Militärangehörigen wegen der Entführung von fünf Oppositionellen im Jahre 1974, deren Verbleib bis heute ungeklärt ist. Zwar verbietet das Amnestiegesetz von 1979 die juristische Aufarbeitung aller Taten, die zur Zeit der Militärdiktatur von Militärs und Oppositionellen begangen worden waren, doch die Staatsanwaltschaft versucht, das Amnestiegesetz durch einen juristischen Schachzug zu umgehen. Sie argumentieren nun: da die Opfer nie aufgetaucht seien, halte die Entführung an und ein fortwährendes Verbrechen müsse bestraft werden, so die Bundesstaatsanwaltschaft Mitte März vor dem zuständigen Gericht in Marabá im Süden des Bundesstaates Pará.

Die fünf Oppositionellen waren Mitglieder der Guerrilha do Araguaia, die im Süden Parás gegen die brasilianische Militärdiktatur kämpften. Sie wurden zwischen Januar und September 1974 von Militärs gefangen genommen und in eine Kaserne gebracht, die unter Aufsicht des Oberst Curió stand. Dort wurden sie gefoltert - und danach nie wieder gesehen. Daher sei es nicht erwiesen, dass die fünf tot seien, meint die Staatsanwaltschaft. Deshalb sei es "fundamental, dass die Justiz die Fälle analysiert, die Beweisaufnahme ermöglicht und die Geschichte der Opfer ans Tageslicht bringt".

Der für den Fall zuständige Bundesrichter, João César Otoni de Matos, sah das bei der ersten Anhörung des Falls in Marabá anders. Die Staatsanwaltschaft habe keine Dokumente oder konkreten Belege vorgelegt, die darauf hindeuten könnten, dass "die Verschwundenen bis zum heutigen Tage entführt sind". Es sei zu bezweifeln, dass die Verschwundenen "weit über dreißig Jahre später noch immer durch den Beschuldigten in Gefangenschaft gehalten würden" argumentierte der Bundesrichter weiter. Und selbst wenn man eine Entführung als gegeben annehme, so müsse angesichts der bekannten Fakten der extremen Wahrscheinlichkeit des Todes der Verschwundenen davon ausgegangen werden, dass die Betroffenen bereits damals ermordet wurden, so dass diese Tat somit verjährt sei und unter die Bestimmungen des Amnestiegesetzes falle.

Die Staatsanwaltschaft kündigte umgehend Revision an. Da es keinen Beweis gebe, dass die fünf bis heute Verschwundenen bereits damals ermordet wurden, bestehe die Entführung fort, so die Staatsanwaltsanwaltschaft. Deshalb könne die angestrebte Klage auch nicht durch Verweis auf das Amnestiegesetz verhindert werden. Dieses beziehe sich eben auf Taten vor dem 15. August 1979. Aber in dem Fall der fünf Verschwundenen bestehe die Tat fort, falle demnach außerhalb des bis zum Stichtag festgelegten Zeitraums, der eine Straffreiheit garantiere. Deswegen müsse in der nun anstehenden Revision nach Ansicht der Staatsanwälte das Gerichtsverfahren gegen den verantwortlichen Oberst eingeleitet werden.

Sollte es zu einem Prozess gegen Curió und gar zu einer Verurteilung kommen, wäre dies die erste strafrechtliche Bestrafung eines brasilianischen Militärs wegen Taten aus der Zeit der Militärdiktatur.

Unterdessen steht in dieser Woche noch ein weiterer Versuch an, das Amnestiegesetz von 1979 zu kippen. Die brasilianische Anwaltskammer hat Einspruch beim Obersten Gerichtshofs Brasiliens (STF) eingereicht, um einen Richterspruch vom vorletzten Jahr, der die Gültigkeit des Amnestiegesetzes erneut bestätigt hatte, zu hinterfragen.