Debatte um argentinische Orte der Erinnerung

Veranstaltung in Berlin über die Nutzung von Orten der Diktaturverbrechen als Gedenkorte. Experte aus Rosario stellt "Museum der Erinnerung" vor

folterzentrum-cordoba.jpg

Ehemaliges Folterzentrum in Rosario, Argentinien: Heute wird hier der Opfer gedacht
Ehemaliges Folterzentrum in Rosario, Argentinien: Heute wird hier der Opfer gedacht

Berlin. Derzeit laufen in Argentinien landesweit Strafprozesse wegen Menschenrechtsverbrechen während der letzten Militärdiktatur. Seit November 2012 wird auch

der historische Prozess zu den mit der ehemaligen Marineschule ESMA in Zusammenhang stehenden Taten weiterverhandelt. In dem Mega-Prozess gegen 68 Angeklagte und mit 789 Fällen sollen bis zu 800 Zeugen gehört werden.

Im Zentrum des medialen Interesses für die Verbrechen der Junta stehen oftmals die Täter. So auch bis vor kurzem der im Mai verstorbene Ex-General Jorge Rafael Videla. Daneben regen vor allem die Angehörigen der "Verschwundenen" die öffentlichen Debatten um die Aufarbeitung der jüngeren argentinischen Vergangenheit an. Über die ehemaligen Orte der Diktaturverbrechen und der Umgang der argentinischen Politik mit der Erinnerung, wurde in dieser Woche bei einer Veranstaltung der argentinischen Botschaft und dem Verein Lateinamerika Forum in Berlin diskutiert. Nach und nach werden die ehemals geheimen Gefangenenlager in Räume der Erinnerung und Begegnung oder in öffentliche Kultur- und Bildungseinrichtungen umgewandelt. Fragen, wie Gesellschaft und Politik mit Orten umgehen sollten, die vom Staat als rechtsfreie Räume zur Gewalt gegen die Bevölkerung genutzt wurden und welchen Ansprüchen die Orte der Erinnerung gerecht werden müssen, begleiteten auch die Entstehung des Museum der Erinnerung (Museo de la Memoria) in Rosario, sagte dabei dessen Direktor, Rubén Chababo.

Das 2010 eröffnete Museum der Erinnerung ist eines der bekanntesten Beispiele, das auch in dem Dokumentationsfilm Räume der Erinnerung aus dem Jahr 2011 vorgestellt wurde. Im Film wird deutlich, dass viele der früheren Geheimgefängnisse erst durch Bürgerinitiativen oder von Menschrechtsgruppen vor dem Abriss bewahrt wurden und als potentielle Erinnerungsorte erhalten werden konnten. Das Museumsgebäude in Rosario war vor und während der Diktatur Verwaltungssitz des argentinischen Heeres. Nach der Rückkehr zur Demokratie wurde es einige Zeit als Bar genutzt. Dies löste landesweit in den Medien eine Polemik um den angemessenen Umgang mit den Tatorten aus. Schließlich sorgte eine Bürgerinitiative dafür, dass das Gebäude enteignet und dem Staatlichen Sekretariat für Menschenrechte übergeben wurde.

Orte des Erinnerns müssten nicht unbedingt in originaler Lage eingerichtet werden, um Erinnern zu ermöglichen und authentisch zu sein, meint Chababo. Viel wichtiger sei es, Erinnerung mit der Gegenwart zu verbinden und dadurch kritische Fragen der aktuellen Situation einer Gesellschaft aufzuwerfen. Das Museum in Rosario ist bereits geöffnet und damit zu einem Teil der institutionellen Erinnerungslandschaft in Argentinien geworden. Andere ehemalige Geheimgefängnisse wurden zerstört oder werden der Öffentlichkeit erst noch zugänglich gemacht.

Das größte geheime Haftlager des organisierten Staatsterrorismus ist die ehemalige Marineschule ESMA in Buenos Aires. In der früheren Ausbildungsstätte für Marinekadetten wurden schätzungsweise 5.000 Personen illegal gefangen gehalten und gefoltert. Sie fungierte auch als Ausgangspunkt für die sogenannten Todesflüge. Heute wird das 17 Hektar große Gelände mit über dreißig Gebäuden gemeinsam vom Staat, der Stadt Buenos Aires und Menschenrechtsorganisationen verwaltet und genutzt. Ein Teil des riesigen Komplexes wurde im Originalzustand als Gedenkstätte erhalten. Außerdem gibt es ein Kulturzentrum für Konzerte und Ausstellungen.

Rubén Chababo stuft die Bereitschaft zur Aufarbeitung seitens der argentinischen Politik aktuell sehr hoch ein, obwohl die Aufarbeitung bis heute in zeitweise entgegengesetzt verlaufenden Etappen passierte. Seit der Regierung des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner im Jahr 2003 gab es mehrere positive Entwicklungen. Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Kirchner die für ihre verschwundenen Angehörigen vor dem Regierungssitz demonstrierenden Mütter der Plaza de Mayo, zu einem symbolischen Empfang im Regierungsgebäude gebeten. 2004 wurde bei einer öffentlichen Zeremonie das bis dahin in Militärbesitz gewesene Gelände der Marineschule ESMA an den Verbund der Menschenrechtsgruppen übergeben. Es konnten seither zwei wesentliche Gesetze verabschiedet werden, die zum einen die Straffreistellungsgesetze der 1980er Jahre aufhoben und zum anderen die gewaltsame Repression während der argentinischen Diktatur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach internationalem Recht anerkannten. Dies führte dazu, dass die Straftaten nicht verjähren und viele Prozesse gegen die ehemaligen Junta-Mitglieder mit dem Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit heute wieder aufgenommen werden. In dieser Woche fand zudem der erste Nationalkongress gegen Folter in Argentinien statt.