Favela-Bewohner nach Festnahme verschwunden

Aktivisten in Brasilien fordern Aufklärung des Falles. Proteste und Solidaritätsaktionen weiten sich aus und überschatten den Papstbesuch

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"Wo ist Amarildo?"
"Wo ist Amarildo?"

Rio de Janeiro. In Brasilien sorgt der Fall eines verschwundenen Favela-Bewohners für Aufsehen. Der 47-jährige Amarildo de Souza ist seit dem 14. Juli verschwunden. An diesem Tag wurde der Maurer und Vater von sechs Kindern vor seinem Haus in der Favela Rocinha von Rio de Janeiro von Polizisten der sogenanten Befriedigungspolizei (UPP) festgenommen. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Die Festnahme ereignete sich einen Tag nach dem Start der Polizeiaktion "Bewaffneter Frieden" (Operação Paz Armada), bei der mindestens 33 vermeintliche Drogenhändler festgenommen wurden. Wie die 15. Polizeistation von Rio de Janeiro nun informierte, handelte es sich bei der Festnahme von De Souza um eine Verwechselung mit einem gesuchten Drogendealer. Familienangehörige und Bewohner der Rua Dois, in der das mutmaßliche Polizeiopfer geboren und aufgewachsen ist, erklärten derweil, dass sich der leitende Polizist der Operation und Amarildo de Souza persönlich kannten und einen Streit gehabt hätten. Elizabeth Gomes da Silva, die Frau des Verschwundenen, berichtet zudem, dass alle am Einsatz beteiligten Polizeibeamten schon vorher durch Verstöße gegen Bewohner der Gemeinde auffällig geworden seien: "Sie haben schon anderen Personen schlechte Dinge angetan und niemand hat den Mund aufgemacht. Aber mein Mann ist unschuldig und Arbeiter, daher musste er den Mund aufmachen". Nach der Festnahme soll De Souza nach Polizeiangaben zunächst wieder freigelassen worden sein. Weder die Auswertung von im Viertel installierten Kameras noch Zeugenaussagen können jedoch diese Angaben bestätigen.

Kurz nach dem Verschwinden des Mannes kam es zu ersten Such- und Protestaktionen der Bewohner Rocinhas. In sozialen Netzwerken und auf der Straße haben sich Favela-Bewohner, linke Aktivisten und Menschenrechtler unter dem Motto "Onde esta Amarildo?" ("Wo ist Amarildo") zusammengeschlossen und fordern die Aufklärung des Falles. In Rio de Janeiro kam es zu mehreren Demonstrationen und Straßenblockaden. Hunderte Bewohner Rocinhas zogen am Sonntag zusammen mit Angehörigen und Freunden des Verschwundenen in einem stillen Protestmarsch durch ihr Viertel. Auch in anderen Städten in Brasilien kam es zu Solidaritätsaktionen. In São Paulo ist für den 1. August eine Demonstration mit dem Motto "Wo ist Amarildo? Auch São Paulo will es wissen" angekündigt.

Die Wut der Demonstranten richtet sich auch gegen die kontinuierliche Polizeigewalt, die vor allem Bewohner der ärmsten Stadtteile trifft. Hier kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Die sogenannte Befriedigungspolizei (UPP) wurde in von Drogengangs zurückeroberten Favelas mit dem Ziel eingesetzt, die Sicherheitslage in diesen Gebieten zu verbessern. Bewohner der Viertel und Menschenrechtsgruppen beklagen jedoch seit der Einrichtung der "Befriedigungsstationen" immer wieder willkürliche Übergriffe seitens der UPP.

Während Stadtverwaltung und Polizei in Erklärungsnot gerieten und aufgrund des Drucks die Aufklärung des Falles versprachen, äußerte Elisabeth Gomes da Silva öffentlich ihre Zweifel und Ängste: "Ich bin mir sicher, dass mein Mann tot ist. Wir haben schon überall gesucht und nichts gefunden. Ich habe bis jetzt keine Drohung erhalten aber ich bin mir sicher, dass, wenn der Staub sich gelegt hat, die Polizisten mir und meiner Familie Schlimmes antun könnten." Mittlerweile ist die Familie des Verschwundenen in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden.

Die Aktionen für De Souza haben sich in den letzten Tag ausgeweitet und begleiten auch die Proteste am Rande des Papstbesuches in Brasilien. Auf Schildern bei Demonstrationen in Rio de Janeiro war zu lesen: "Der Papst ist hier, doch wo ist Amarildo?".

Am Montag kam es in Rio de Janeiro erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, als sich ein Protestzug aus Arbeitern, Studenten und LGBT-Gruppen dem Palácio de Guanabara näherte,  wo eine Empfangszeremonie für Papst Franziskus stattfand. Wie das Nachrichtenportal Último Segundo berichtet, wurden mehrere Menschen verletzt. Zwei Journalisten der unabhängigen Mediengruppe Mídia Ninja wurden festgenommen.

Die Proteste in Rio de Janeiro versuchen im Zuge des Papstbesuches Aufmerksamkeit auf soziale Themen zu lenken und kritisieren die enormen finanziellen Ausgaben für die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele. Auch die Militarisierung der Polizei und der einer Kriegsoperation gleichkommende Einsatz für den Papst-Besuch stehen im Fokus ihrer Kritik.