Prozess zum Carandiru-Massaker: Rechtfertigungen für Polizeieinsatz

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Im September 2002 wurde Carandiru geschlossen
Im September 2002 wurde das Gefängnis geschlossen und ein Teil der Gebäude abgerissen

São Paulo. Als Zeugen der Verteidigung haben am zweiten Tag des am 29. Juli begonnenen Prozesses zum Gefängnismassaker von Carandiru, das am 2. Oktober 1992 Brasilien erschüttert hatte, zwei damals politisch Hauptverantwortliche ausgesagt. Sowohl der Ex-Gouverneur von São Paulo, Luiz Antônio Fleury Filho, als auch der ehemalige Staatssekretär für Sicherheit, Pedro Franco de Campos, halten daran fest, dss es unumgänglich gewesen sei, den damals größten Gefängniskomplex Südamerikas von Einheiten der Policia Militar (PM) erstürmen zu lassen. In dem Verfahren vor dem Kriminalgericht von Barra Funda müssen sich 26 beteiligte PM-Angehörige für den Tod von 73 Gefangenen im zweiten Stock von Haus 9 der Haftanstalt verantworten.

Der Einsatz innerhalb des Zuchthauses wäre "berechtigt und notwendig" gewesen, so Fleury, da es in der Anstalt Brände gab und Nachrichten über getötete Häftlinge vorlagen. "Ich gab nicht den Befehl zum Einsatz der PM, aber wenn es in meiner Hand gelegen hätte, hätte ich die Erstürmung angeordnet." Beide Politiker hatten sich bereits in der ersten Instanz des Prozesses im April 2013 entsprechend positioniert.

Bei der als Massaker von Carandiru bekannt gewordenen Erstürmung des für seine katastrophalen Bedingungen berüchtigten Gefängnisses im gleichnamigen Stadtteil im Norden von São Paulo waren 111 Gefangene getötet und weitere 87 verletzt worden. Die meisten der Opfer starben in ihren Zellen an Schüssen aus kurzer Distanz. Bei dem Einsatz gegen den Häftlingsaufruhr verlor keiner der 286 beteiligten Polizisten sein Leben. Gegen insgesamt 84 von ihnen wurde in mehreren Verfahren Anklage erhoben. Oberst Ubiratan Guimarães, der den Einsatz der Militärpolizei geleitet hatte, wurde 2001 zu einer Freiheitsstrafe von 632 Jahren verurteilt, in zweiter Instanz im Februar 2006 jedoch freigesprochen. Guimarães verbrachte keinen einzigen Tag seines Lebens im Gefängnis. Er starb am 9. September 2006 in seiner Wohnung durch einen Bauchschuss, der Täter blieb unbekannt.

In der ersten Instanz waren 23 der hier Angeklagten zu je 156 Jahren Gefängnis verurteilt worden, drei Angeklagte wurden freigesprochen. Alle beteiligten Polizisten sind bis heute auf freiem Fuß.