Brasilien / Politik

Urteil gegen Ex-Lula-Funktionäre in Brasilien

Haftstrafen wegen Bestechung von Politikern und Parteien im Mensalão-Skandal. Richter beklagt offenen Vollzug und "Klassensystem" der Justiz

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Titelblatt vom 14.10.2013: "Oberstes Gericht beschließt Festnahme von Dirceu und anderen Angeklagten im Mensalão-Fall"
Titelblatt vom 14.10.2013: "Oberstes Gericht beschließt Festnahme von Dirceu und anderen Angeklagten im Mensalão-Fall"

Brasília. Acht Jahre nach Aufdeckung der als Mensalão-Skandal bekannt gewordenen Bestechungszahlungen durch hochrangige Regierungsfunktionäre von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2000-2003) an Abgeordnete und Parteien der Opposition hat Brasiliens Justiz die Verantwortlichen zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. Dies berichteten verschiedene Medien am Donnerstag über das "historische Jahrhunderturteil". Insgesamt elf von 25 Angeklagten wurden vom Obersten Gerichtshof (STF) mit Gefängnisstrafen belegt, nachdem die Richter es als bewiesen ansahen, dass Ex-Regierungsfunktionäre monatlich bis zu 12.000 US-Dollar für politisches Wohlverhalten gezahlt hatten.

Ex-Präsident Lula da Silva erklärte, er werde das Urteil respektieren, aber nicht kommentieren. "Wer bin ich, dass ich über die Entscheidung des Gerichtes urteilen kann", zitiert die Tageszeitung "O Globo" den einstigen Gewerkschaftsführer. Über Twitter kommentierte Präsidentin Dilma Rousseff das Urteil: "Das Wort Republik kommt aus dem Latein und bedeutet öffentliche Sache". Präsidentin der Republik Brasilien zu sein bedeute für sie darum "über die öffentlichen Sache zu wachen und diese zu schützen, das Allgemeingut zu bewahren, Korruption vorzubeugen und zu verhindern".

Die Haftstrafen für die Beteiligten im Korruptionsnetzwerk liegen je nach Beteiligung zwischen drei bis 37 Jahren, informiert die Tageszeitung "Folha do S. Paulo" in ihrer Sonderberichterstattung. Zu insgesamt sieben Jahren und elf Monaten Gefängnis wurde José Dirceu, damaliger Kabinettschef von Lula da Silva verurteilt. Weil die Haftstrafen wegen Korruption weniger als acht Jahre ausmachen kann Dirceu seine Strafe im halboffenen Vollzug verbüßen, wobei nur die Nächte im Gefängnis verbracht werden müssen.

Doch könnten noch weitere Verurteilungen und somit Haftjahre hinzukommen. Gemeinsam mit den ebenfalls verurteilten José Genoíno, Ex-Präsident der regierenden Arbeiterpartei (PT) und Ex-Schatzmeister Delubio Solares müssen sich die Männer noch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in einem gesonderten Prozess verantworten. Dieser beginnt im kommenden Jahr.

Nach der Auswertung von insgesamt 42.000 Seiten Beweismaterial und drei langen Sitzungen des Obersten Wahlgerichts (TSE) in der Hauptstadt Brasília ist der vielleicht wichtigste Prozess gegen Korruption in der Geschichte des südamerikanischen Landes zu Ende gegangen, kommentieren Beobachter in der Tageszeitung "O Globo". Andere Analysten sehen die Aufarbeitung der politischen Korruption derweil erst "am Anfang". Das Urteil wird zudem als Beweis der Unabhängigkeit der brasilianischen Gerichtsbarkeit gegenüber der Politik gewertet. Ex-Kabinettschef Dirceu bezeichnete den Richterspruch hingegen als "politisch" und "ohne Beweise". Seine Verteidigung werde notfalls vor internationale Gerichte ziehen.

Der von der Präsidentin Dilma Rousseff jüngst ernannte TSE-Richter Luís Roberto Barroso hatte höhere Strafen und somit eine geschlossene Haft gefordert. "Wir haben tausende Verurteilte im Gefängnis, verurteilt wegen Besitz kleiner Mengen von Marihuana, aber nur wenige wegen großer Vergehen. Um in Brasilien ins Gefängnis zu gehen muss man arm sein und eine schlechte Verteidigung haben", kritisierte Barroso in seiner Erklärung zum Urteil das "aktuelle System als selektiv, ein Klassensystem" und "fast kastenmäßig".

Der Mensalão-Skandal hat seinen Namen von einer Variante des portugiesischen "salário mensal" oder "mensalidade" (zu deutsch: Monatszahlung). Erstmals gebrauchte der PT-Abgeordnete Roberto Jefferson den Begriff in einem Exklusiv-Interview mit der Tageszeitung "Folha do S. Paulo" im Juni 2005.