Rio de Janeiro. Die Situation in der Favela Maré im Norden Rio de Janeiros bleibt weiterhin angespannt. In den vergangenen Tagen kam es dort erneut zu Schusswechseln zwischen Sicherheitskräften und Drogenhändlern. In dem aus 15 Gemeinden bestehenden Siedlungskomplex leben über 130.000 Menschen. Das Gebiet gilt als Hochburg der organisierten Kriminalität.
Am 30. März besetzten über 1.500 Polizisten den Stadtteil um eine Stationierung der Armee vorzubereiten. Laut Presseberichten starben dabei 16 vermeintliche Drogenhändler. Über 100 Menschen wurden verhaftet, Schusswaffen und Drogen sichergestellt. Ziel der Operation war unter anderem die Einrichtung einer sogenannten Befriedungspolizei (UPP). Seit 2008 werden diese in Rio de Janeiro nach der militärischen Rückeroberung der Favelas dauerhaft angesiedelt. Mittlerweile gibt es im gesamten Stadtgebiet 38 UPP-Einheiten. Während sich die UPP selbst als "bürgernahe Polizei" beschreibt, hegen Kritiker Zweifel an der Befriedungsstrategie. Anwohner von Favelas berichten von Amtsmissbrauch mit willkürlichen Festnahmen bis hin zu Mord. So wurde der Maurergehilfe Amarildo de Souza im Juli 2013 in der UPP-Station der Favela Rocinha gefoltert und ermordet.
Seit dem 5. April patrouillieren über 2.700 Soldaten in Maré und sollen dort mindestens bis zum 31. Juli stationiert bleiben. Mit dem Einsatz der Armee im Zuge der sogenannten Operation São Francisco will die Regierung für die Sicherheit in der Stadt vor der FIFA-Fußballweltmeisterschaft sorgen, die vom 12. Juni bis 13. Juli stattfindet. Der Favela-Komplex befindet sich zwischen dem internationalen Flughafen und dem Zentrum der Stadt. Somit hat Maré eine hohe logistische Relevanz für das näher rückende Sportereignis.
Während der Gouverneur des Bundesstaates von Rio de Janeiro, Sérgio Cabral, nach der Besetzung von "einem historischen Tag" sprach, üben viele Bewohner scharfe Kritik an der Militarisierung ihres Stadtteils. Mit der Kampagne "Ist es gerechtfertigt?" stellen Bewohner den Militäreinsatz für die Durchführung der WM in Frage und fordern Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem. In den vergangenen Tagen kam es zu mehreren Protesten gegen die Besetzung. Die Skepsis gegen die Sicherheitskräfte ist groß. Im Juli 2013 waren neun Bewohner Marés unter bislang noch ungeklärten Umständen von einer Spezialeinheit der Polizei erschossen worden. "Wir sind besorgt, dass es auch bei dieser Operation zu schweren Übergriffen und zahlreichen Todesopfern kommt, wie es bei anderen Besetzungen der Fall war", sagte Mário Simão, ein Sprecher einer in Maré ansässigen Favela-Organisation.
Insgesamt haben sich die Konflikte zwischen Drogenbanden und Polizisten zugespitzt. Allein in den vergangenen drei Monaten starben in Rio de Janeiro acht Polizeibeamte bei Auseinandersetzungen mit den Gangs.
Unterdessen kommt es auch in anderen Teilen der Nordzone von Rio de Janeiro zu Konflikten. Am Morgen des 11. April räumten Militärpolizisten gewaltsam eine Besetzung auf einem leerstehenden Gelände des Telefonanbieters Oi im Stadtteil Engenho Novo. Mehrere Bewohner wurden dabei verletzt. Rund 6.000 Menschen hatten seit Ende März auf dem Gelände gewohnt. "Sie behandeln uns wie Tiere. Ihre Lösung ist ein Massaker", kommentierte die Sprecherin der Besetzer, Maria José Silva, den Polizeieinsatz.