Mexiko-Stadt. Das mexikanische Verteidigungsministerium hat die Festnahme von einem Oberleutnant und 24 Soldaten angeordnet. Sie werden verdächtigt, an der Ermordung von 22 Zivilisten am 30. Juni dieses Jahres im Dorf San Pedro Limón im Bundesstaat Estado de México beteiligt gewesen zu sein.
Laut der offiziellen Version haben an dem Tag etwa 50 Militärs bei einer Routinekontrolle in Tlatlaya zufällig drei entführte Frauen und deren mutmaßliche Entführer entdeckt, die sich in einer verlassenen Lagerhalle befanden. Als die Entführer das Erscheinen der Militärs wahrnahmen, hätten sie sofort das Feuer eröffnet, so dass sich die Soldaten unmittelbar verteidigen mussten. Bei dem Schusswechsel seien alle Entführer, darunter eine minderjährige Frau umgekommen. Ein Soldat sei dabei verletzt und die drei entführten Frauen befreit worden. Bei dem Einsatz seien mehrere Waffen beschlagnahmt worden.
Drei Monaten später veröffentlichte das Magazin "Esquire Latinoamerica" ein ausführliches Interview mit einer der angeblich entführten und von den Militärs befreiten Frauen, deren Name und Aufenthalt aus Sicherheitsgründen nicht genannt wurden. Sie berichtete über einen vollkommen anderen Ablauf der Militäraktion.
Nach der von den Militärs begonnen Schießerei, bei der ein Mann getötet wurde, ergaben sich die restlichen 20 Männer. Diese seien dann von den Militärs gedemütigt und beim Verhör schwer verletzt worden. Anschließend seien 19 Männer in einer Reihe an die Wand gestellt und erschossen worden.
Ein Mann und ein Mädchen, die mit Schussverletzungen am Boden lagen, seien mit gezielten Schüssen auf Brust und Kopf getötet worden. Später hätten sich die Militärs Handschuhe angezogen und den Tatort manipuliert. Dabei seien Waffen bei den Leichen platziert worden. Die Toten wurden so positioniert, als ob sie bei einem Schusswechsel ums Leben gekommen wären. Dafür hätten die Militärs etwa drei Stunden gebraucht, so die Zeugin.
Die drei Frauen, darunter die Interviewte, seien von den Militärs gezwungen worden, in der Öffentlichkeit zu behaupten, dass sie von den 21 Männern und der minderjährigen Frau entführt wurden.
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Bei der Untersuchung des Vorgangs sowie bei der Ausfertigung der Todesurkunden wurden Unstimmigkeiten festgestellt. Die Schüsse wurden offensichtlich aus sehr kurzer Distanz abgegeben. Zudem wurden am Tatort fast keine Patronenhülsen gefunden. Das bestätigt auch der Kriminologe José Luis Mejía Contreras anhand der Fotos gegenüber der Nachrichtenagentur MVT.
Die Nachrichtenagentur AP verweist in ihrem Bericht auf diese Informationen und berichtete, dass keiner der getöteten Männer älter als 24 Jahre war. Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rigths Watch sowie das Zentrum für Menschenrechte Agustín Pro Juárez und die Mexikanische Kommission für die Schutz der Menschenrechte forderten Transparenz bei den Ermittlungen.
Das mexikanische Verteidigungsministerium vertrat zunächst die offizielle Version eines Schusswechsels. Diese wurde auch vom Direktor der nationalen mexikanischen Menschenrechtskommission (CNDH), Raúl Plascencia, unterstützt. Seine Aussagen wurden von den unabhängigen Menschenrechtsorganisationen in Mexiko auf Schärfste verurteilt. Sie fordern nun seinen Rücktritt.
Auf Druck der USA, diesen Fall zu klären, ordnete Verteidigungsminister Osorio Chong eine neue gründliche Untersuchung an. Es steht zu erwarten, dass die 25 festgenommenen Militärs gerichtlich verfolgt werden.
Vertreter der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) verlangen, dass der Verteidigungsminister alle diesbezüglichen Informationen an Menschenrechtorganisationen wie Amnesty International weitergibt, damit diese dem Verdacht auf willkürliche außergerichtliche Hinrichtungen durch eine Militäreinheit nachgehen können.
Verteidigungsminister Chong bezeichnete den Fall Tlatlaya indes als eine "Seltenheit" und betonte: "Wir haben eine großartige Armee und falls die Militärs sich nicht nach dem Militärkodex verhalten hätten, wäre es eine Ausnahme." Laut Medienberichten gab es jedoch bereits 2008 einen Fall, bei dem ein Militärkommando in San Pedro Limón Zivilisten erschossen hat. Außerdem dokumentierte Amnesty International zahlreiche Fälle, bei denen Zivilisten von Polizisten und Soldaten misshandelt und gefoltert wurden.