Brasilien / Politik

Oberster Gerichtshof von Brasilien politisiert

Parlament erhöht Altersgrenze von Verfassungsrichtern, um das Vorschlagsrecht der Präsidentin auszuhebeln. Kampagnen des bürgerlichen Lagers dauern an

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Oberster Gerichtshof in Brasília
Oberster Gerichtshof in Brasília

Brasília. Verfassungsrichter in Brasilien dürfen zukünftig ihr Amt bis zum 75. Lebensjahr ausüben statt wie bisher bis zum 70. Lebensjahr. Dies legt die Verfassungsnovelle 457/05 fest, die in der Nacht des 5. Mai von 333 der 513 Abgeordneten des brasilianischen Parlaments verabschiedet wurde. Die Verfassung sieht das Vorschlagsrecht des Präsidenten für Verfassungsrichter und einen anschließenden Beschluss über die Kandidaten im Senat vor. Während der zweiten Amtszeit von Präsidentin Dilma Rousseff hätten bis 2018 sechs Richter des Obersten Bundesgerichtshofs (STF) die bisherige Altersgrenze erreicht. Durch die Novelle werden nun fünf Verfassungsrichter das Amt weiterhin ausüben können. Nur ein Richteramt wird in der Amtszeit von Dilma Rousseff neu besetzt werden.

Das bei den Wahlen 2014 deutlich nach rechts gerückte Parlament, in dem die Arbeiterpartei (PT) der Präsidentin erneut keine eigene Mehrheit besitzt, warb für die Verfassungsänderung ausdrücklich mit dem Argument, "um die Macht der Präsidentin zu reduzieren".

"Dies ist eine gute Sache", sagte der Präsident des Senats, Renan Calheiros (PMDB) nach der Verabschiedung der Novelle, weil es die "Politisierung" des Obersten Gerichtshofs verhindere. Parlamentspräsident Eduardo Cunha, ebenfalls von der PMDB, hat seit Beginn seiner Amtsübernahme auf die Veränderung der Regeln in der Judikative hingearbeitet und ermöglichte die Abstimmung am vergangenen Mittwoch durch eine Änderung der Tagesordnung. Kritische Medien bezeichneten die Haltung von Cunha als fehlenden Respekt vor der Verfassung und vor staatlichen Institutionen, die "einer perversen politischen Konjunktur" unterworfen würden. Die neue Regelung wirft verschiedene rechtliche Fragen auf, unter anderem die nach der Gleichbehandlung staatlicher Beamter.

Die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition in Brasilien versucht seit der Niederlage ihres Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2014 auf allen Ebenen, die Amtsausübung von Dilma Rousseff zu verhindern. Im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras wird die Forderung nach einer Amtsenthebung erhoben, was nicht nur die regierende PT als Versuch eines "dritten Wahlgangs" einschätzt. Die regelmäßigen Radioansprachen der Regierung werden von über die sozialen Medien koordinierten "panelaços" – lautstarke Protesten aus der bürgerlichen Mitte mit Kochtöpfen oder Autohupen – begleitet. Seit Anfang des Jahres forderten mehrere Großdemonstrationen den Rücktritt der Präsidentin. Laut einer Studie zweier Universitäten glaubte bei der Großdemonstration am 12. April mehr als die Hälfte der Demonstranten nach einer massiven Kampagne in den sozialen Medien, dass "die PT ein kommunistisches Regime in Brasilien installieren will".

Derzeit gibt sich die Präsidentin betont gelassen: "Wir müssen uns an die Stimmen der Straße gewöhnen", sagte Rousseff in einer Videoansprache zum 1. Mai. Sie hat aber erstmals auf eine Fernsehansprache zum Tag der Arbeit verzichtet, vermutlich um keine weiteren Demonstrationen zu provozieren.