EU und Lateinamerika ringen um Konsens, NGOs bei Gegengipfel

"Gipfel der Völker" für Zusammenarbeit sozialer Bewegungen. Celac-Staaten fordern Achtung territorialer Integrität und politischer Unabhängigkeit

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Demonstranten des Gipfels der Völker zeigten Solidarität mit Venezuela
Demonstranten des Gipfels der Völker zeigten Solidarität mit Venezuela

Brüssel. Anlässlich des Gipfeltreffens der Europäischen Union und der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) in Brüssel findet seit gestern und bis zum heutigen Donnerstag in Brüssel ein "Gipfel der Völker" beider Kontinente statt. Das Treffen von Basisorganisationen steht unter dem Motto "Aufbau von Alternativen in Lateinamerika und Europa".

Am ersten Tag sprachen 27 Intellektuelle und Parlamentarier vor 800 Teilnehmern aus 17 europäischen und fast allen lateinamerikanischen Länder über die gemeinsamen Probleme beider Kontinente und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Im Gespräch mit amerika21 sagte Abel Prieto, ehemaliger Kulturminister Kubas und derzeit Berater von Kubas Präsident Raúl Castro: "Dieses Treffen ist ein historischer Moment. Zum ersten Mal kommen Parlamentarier, Intellektuelle, Künstler und Vertreter verschiedener sozialer Bewegungen zusammen." In Zeiten, wo die Rechten sowohl in Europa als auch in Lateinamerika erstarken sei die Einheit der Linken von besonderer Wichtigkeit. "Die Rechten organisieren sich. Die Linke neigt leider dazu, sich zu spalten", so Prieto weiter.

Angeregt wurde die Erarbeitung einer Plattform für die "Zusammenarbeit auf Augenhöhe". Themen sollen Frieden, soziale Sicherheit als Menschenrecht, Rolle der Medienkonzerne und Entwicklung von Alternativen, Migration und Rassismus sein. Ebenso der Kampf gegen Freihandelsverträge und die Intensivierung des Kampfes gegen den Neoliberalismus in Europa.

Am Mittwoch fand eine Demonstration in Brüssel statt. Am heutigen Donnerstag tagen Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Themen. Beendet wird der Kongress mit einem Kulturprogramm unter Teilnahme von Regierungsvertretern der Länder der linksgerichteten Bolivarischen Allianz (Alba).

In seiner Rede zum Auftakt des EU-Lateinamerika-Gipfels bezeichnete Ecuadors Präsident Rafael Correa die Beseitigung des Hungers als "moralischen Imperativ für unsere Region und die ganze Welt". Der Hunger sei nicht mehr Produkt des Mangels an Ressourcen, sondern der Ungleichheit, "wo einige alles und viele gar nichts haben". Er sprach sich für wirtschaftliche Kooperationen und Investitionen der EU-Länder in Lateinamerika und der Karibik aus. Diese müssten jedoch gerechter, ausgewogener und unter Achtung der Menschen- und Naturrechte sowie zum gegenseitigen Nutzen sein. Kritik übte er an der Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU: Sie räume dem freien Finanz- und Warenverkehr Priorität ein, aber die Migration werde immer stärker kriminalisiert. Correa sprach dort als turnusmäßiger Präsident Celac. Die USA kritisierte er scharf für ihre Lateinamerika-Politik. "Wir müssen immer noch die unmenschliche Blockade (Kubas) loswerden und die unmenschliche Behandlung in Guantánamo, die ein Überbleibsel des Kolonialismus auf unserem Territorium ist". Er forderte die USA außerdem auf, die Sanktionen gegen venezolanische Regierungsfunktionäre zurückzunehmen.

Bei der Abschlusserklärung kam es nach Angaben beteiligter Diplomaten zu anhaltenden Diskussionen. So legten die Vertreter der Celac zu Beginn des rund 50 Punkte umfassenden Dokuments großen Wert darauf, nicht nur ein Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen festzuschreiben. Sie bestanden auch auf eine Formulierung, nach der "die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit" geachtet werden müssen. Beobachter sehen darin eine Reaktion auf die Interventionen westlicher Staaten um die USA in den vergangenen Jahren. Das Vorgehen in Syrien und Libyen etwa war in Lateinamerika und der Karibik auf harsche Kritik gestoßen.

Unterschiede traten auch bei dem Blick auf die Entwicklungen im sozialistischen Kuba zutage. So war in einer Erklärungsvorlage aus Brüssel noch von einer "Unterstützung des fortschreitenden Reform- und Modernisierungsprozesses" in Kuba die Rede. Die Celac-Verhandlungsführer änderten dies in eine "Aktualisierung des Wirtschaftsmodells Kubas". Die Regierung in Havanna lehnt den Begriff der Reformen ab, um den Eindruck eines Systemwandels zu vermeiden.

In Bezug auf die internationale Entwicklungspolitik legten die lateinamerikanischen und karibischen Staaten viel Wert auf die Verantwortung der Industriestaaten. "Im Entwurf aus Brüssel stand ursprünglich in allgemeiner Form, alle Staaten sollten ihren Teil zur Entwicklung beitragen", sagte eine lateinamerikanische Diplomatin, die an den Verhandlungen beteiligt war. Nach dem Willen der Celac-Länder liegen Entwicklung und Wachstum im gemeinsamen Wirtschaftsraum "in der  gemeinsamen Verantwortung". Es brauche dazu einen Beitrag aller Staaten, jedoch gemäß ihren jeweiligen Möglichkeiten, Umständen und Prioritäten. Mehrfach verwiesen die Celac-Staaten zudem auf die Verpflichtung der Industriestaaten, 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Dieses Ziel war im Jahr 2000 auf dem UN-Millenniumsgipfel festgelegt worden. Deutschland legt derzeit bei 0,38 Prozent.