Amerikas / Kultur

Abschied vom Jahr 2015 und Eduardo Galeano

Amerika21 wünscht allen Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr

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Eduardo Galeano (1940-2015)
Eduardo Galeano (1940-2015)

Berlin. Das Team von amerika21 verabschiedet sich auch in diesem Jahr von seinen Leserinnen und Lesern mit einem Gedicht. Es stammt dieses Mal von dem uruguayischen Schriftsteller, Poeten und Fußballfan Eduardo Galeano, der am 13. April 2015 verstorben ist. Galeano gehörte mit seiner Auffassungsgabe und Ausdrucksstärke zu den bedeutendsten Chronisten Lateinamerikas. Die Widersprüche zwischen Arm und Reich, die Unterdrückung der Mehrheiten und das Streben des Menschen nach Höherem waren ständige Themen seiner Werke. So auch sprachgewandte Beobachtungen wie die, dass die "Libertad de expresión", also das Recht auf freie Meinungsäußerung, zu oft mit der "Libertad de presión" verwechselt würde, der Freiheit, Druck auszuüben. Er schrieb dazu: "Man reduziert dieses Freiheitsrecht auf den Willen einer Gruppe von Unternehmern, darüber zu entscheiden, welche Nachrichten existieren und welche nicht existieren."

Dieser Gedanke liegt auch dem folgenden Gedicht von Eduardo Galeano zugrunde, das im spanischsprachigen Original den Titel "Los Nadies" trägt. 


Die Nichtmenschen
Die Flöhe träumen davon, sich einen Hund zu kaufen,
so wie die Nichtmenschen davon träumen, aus der Armut zu entkommen;
davon, dass sie eines magischen Tages
aus heiterem Himmel das Glück ereilt,
und sich jäh aus vollen Kübeln über sie ergießt.
Aber das Glück ergießt sich nie.
Heute nicht, auch nicht morgen oder eines anderen Tages.
Das Glück nieselt nicht einmal zaghaft vom Himmel,
so sehr die Nichtmenschen es auch erflehen,
selbst wenn ihre linke Hand juckt,
wenn sie mit dem rechten Fuß zuerst aufstehen,
oder das Jahr mit einem neuen Besen begrüßen.
Die Nichtmenschen, niemandes Kinder,
Besitzer von Nichts.
Die Nichtmenschen: die Nichtsseienden, zu Nichts Gemachten,
die sich sinnlos aufreiben, ein Leben lang sterben,
denen es beschissen geht,
immer wieder aufs Neue:
Die nicht sind, auch wenn sie sein sollten.
Die keine Sprache sprechen, sondern Dialekte.
Die keine Religionen ausüben, sondern Aberglauben.
Die keine Kunst vollbringen, sondern Kunsthandwerk.
Die keine Kultur praktizieren, sondern Folklore.
Die keine Menschen sind, sondern Humanressourcen.
Die keine Gesichter haben, sondern Arme.
Die keinen Namen haben, sondern Nummern.
Die in der Weltgeschichte nicht auftauchen,
sondern in den Randspalten der Lokalpresse.
Die Nichtmenschen,
die weniger wert sind
als die Kugel, die sie tötet. 
(Übertragen ins Deutsche von Harald Neuber)