Brasilien / Politik

Verfahren gegen Brasiliens suspendierte Präsidentin Rousseff verkürzt

Rousseffs Anwalt fordert, die Telefon-Leaks in die Beweislage aufzunehmen. Gericht entzieht Interimspräsident Michel Temer für acht Jahre das passive Wahlrecht

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Die mehrheitlich konservativ besetzte Sonderkommission zum Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff will zehn Verhandlungstage streichen - zu Ungunsten der Präsidentin
Die mehrheitlich konservativ besetzte Sonderkommission zum Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff will zehn Verhandlungstage streichen - zu Ungunsten der Präsidentin

Brasília. Der brasilianische Senat hat beschlossen, das Verfahren der Amtsenthebung gegen De-jure-Präsidentin Dilma Rousseff zu verkürzen. Die für das Impeachment eingesetzte Sonderkommission stellte am Donnerstag einen Antrag beim Obersten Gerichtshof, die Frist für die Abschlussplädoyers von 15 auf fünf Tage zu reduzieren. Die endgültige Abstimmung über die Amtsenthebung kann so von Anfang August auf Ende Juli vorverlegt werden. Unterstützer Rousseffs befürchten Nachteile für ihre Verteidigung.

Einen Tag zuvor hatte Rousseffs Anwalt und ehemaliger Justizminister, José Eduardo Cardozo, die 370 Seiten lange Verteidigungsschrift beim Senat eingereicht. Sie fordert, auch die vor kurzem veröffentlichten Gesprächsmitschnitte von inzwischen zurückgetretenen Kabinettsmitgliedern der Interimsregierung Michel Temers mit einem ehemaligen Chef einer Tochtergesellschaft des Erdölkonzerns Petrobras im Verfahren zu berücksichtigen. Die aufgezeichneten Gespräche legen nahe, dass mit der Entfernung Rousseffs aus ihrem Amt die Einstellung der Korruptionsermittlungen der Operation Lava-Jato bewirkt werden soll.

Der Vorsitzende der Kommission, Antonio Anastasia, lehnte diesen Antrag ab. "Die offengelegten Fakten haben mit der hier zu verhandelnden Sache nichts zu tun", erklärte er. Cardozo beanstandete beide Entscheidungen der Kommission. "Sie wollen das Recht der Präsidentin beschneiden, ihre Unschuld zu beweisen". Rousseff und ihre Befürworter verweisen darauf, dass es keine rechtliche Grundlage für die Amtsenthebung gebe und sprechen von einem Staatsstreich.

Reaktionen auf die Ereignisse in Brasilien kamen in dieser Woche auch aus Europa.  Parlamentsabgeordnete der Europäischen Union forderten, die Verhandlungen über das Handelsabkommen mit dem Mercosur auszusetzen und verwiesen auf den Mangel an demokratischer Legitimität der Regierung Temers. "Die aktuelle Interimsregierung in Brasilien ist aus einem zweifelhaften Prozess hervorgegangen, der durch eine korrupte Mehrheit unterstützt wurde", erläuterte Xabier Benito Ziluaga von der spanischen Partei Podemos. In Lateinamerika hatten bereits verschiedene Länder - darunter Kuba, Venezuela, Bolivien und Ecuador - die Anerkennung des Übergangspräsidenten verweigert.

Unterdessen reißen die Proteste gegen die de-facto-Regierung nicht ab. Nahe täglich finden in verschiedenen Städten Demonstrationen statt, die zum Teil von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen werden. Im Anschluss an eine Großdemonstration am Mittwoch in São Paulo besetzten rund 300 Mitglieder der Wohnungslosenbewegung (MTST) den Eingang des Gebäudes, in dem sich das Büro Temers befindet. Sie protestierten damit gegen den Beschluss der Interimsregierung der vergangenen Woche, massive Kürzungen im staatlichen Wohnungsbauprogramm "Minha Casa, Minha Vida" vornehmen zu wollen.

Auch von juristischer Seite erfährt der rechts-konservative Politiker Temer derzeit Gegenwind. Am Donnerstag bestätigte das Wahlgericht in São Paulo, dass der Interimspräsident "während der nächsten acht Jahre unwählbar ist". Das Wahlgericht entzog nach geltendem Recht Temer für acht Jahre das passive Wahlrecht. Grundlage dafür ist eine Verurteilung Temers vom November 2015. Damals war Temer verurteilt worden, während des Wahlkampfes 2014 Geldspenden über den gesetzlich erlaubten zehn Prozent des Bruttoeinkommens des Vorjahres getätigt zu haben. Temer hatte rund 25.000 Euro an seine Partei gespendet.

Das Anti-Korruptionsgesetz "Ficha Limpa", etwa "Reine Weste", war 2012 unter Präsidentin Rousseff verschärft worden. Das Gesetz regelt, dass Politiker, die wegen krimineller Vergehen in zweiter Instanz verurteilt worden sind, vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind oder keine öffentliche Ämter bekleiden dürfen.