Brasilien / Politik

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff verteidigt sich im Senat

Rousseff sieht in Absetzung einen Putsch durch konservative und autoritäre Kräfte im Land. Anschließende Sitzung nimmt Charakter einer Parlamentsdebatte an

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Dilma Rousseff rief die Senatoren bei ihrem Abschlussplädoyer im Morgengrauen auf, mit vollem Bewusstsein für die Tragweite einer Amtsenthebung abzustimmen
Dilma Rousseff rief die Senatoren bei ihrem Abschlussplädoyer im Morgengrauen auf, mit vollem Bewusstsein für die Tragweite einer Amtsenthebung abzustimmen

Brasília. Einen Tag vor der erwarteten Abstimmung über ihre Amtsenthebung hat die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff vor dem Senat eine kämpferische Rede gehalten. Dabei wies sie einmal mehr die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zurück. Die Vorwürfe seien ein Vorwand für einen politischen Machtwechsel, verurteilte Rousseff das Verfahren. "Laut unserer Verfassung reicht nicht einfach der mögliche Verlust der parlamentarischen Mehrheit, um einen Präsidenten zu entfernen. Dafür muss es sich um ein vorsätzliches "Verbrechen in der Amtsführung"1 handeln. Und es ist klar, dass es dieses Vergehen nicht gab", so Rousseff in ihrer Erklärung.

Die de-jure Präsidentin bezeichnete das Amtsenthebungsverfahren als politisches Manöver der konservativen und autoritären Eliten des Landes. Einmal mehr stellte Rousseff dar, warum es sich beim Verfahren gegen sie aus ihrer Sicht um einen Putsch handele. "Unabhängig von der Existenz irgendwelcher Tatsachen, die meine Absetzung vor der Verfassung rechtfertigen könnten, hatten sie meine Absetzung geplant."

In diesem Zusammenhang verwies sie auf die Konsequenzen der im Raum stehenden Amtsenthebung für das demokratische System. "Ich sage nicht, dass das hier heute ein Staatsstreich ist. Aber sollten sie mich verurteilen, ist der Putsch unumkehrbar." Dies würde den Weg frei machen für antidemokratische Entscheidungen im Land. "Stellen sie sich diesen Präzedenzfall vor, den ihre Entscheidung für andere Präsidenten, Gouverneure und Bürgermeister eröffnet."

Neben der Auseinandersetzung um die Tragweite für das demokratische System ging sie in der einstündigen Rede auf die inhaltlichen Komponenten ihrer Regierung ein. So stünden mit ihrer Absetzung die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der vergangenen 13 Jahre auf dem Spiel, warnte Rousseff die "Jury aus Senatoren". Verbessert habe sich die ökonomische Lage der Ärmsten und der Mittelschicht, der Zugang von Jugendlichen zu Hochschulen, die Erhöhung des Mindestlohns, der Zugang für alle zu medizinischer Versorgung, so Rousseff. Nun drohten die Privatisierung öffentlichen Eigentums und nationaler Rohstoffvorkommen wie der Milliarden US-Dollar schweren Erdölvorkommen Pre-Sal vor Brasiliens Küste.

Von ihrer Ansprache erhofften sich manche Unterstützer, einige der Senatoren zugunsten der De-jure-Präsidentin umzustimmen. Vor Beginn hatten sich 53 von 81 Senatoren für eine Amtsenthebung ausgesprochen. Im Morgengrauen waren es einer weniger; notwendig sind zwei Drittel der Stimmen, also 54.

In dem anschließenden, 13-stündigen Schlagabtausch, in dem die Senatoren Rousseff in einem Plädoyer ihr Misstrauen oder ihre Unterstützung aussprachen, nahm die Sitzung den Charakter einer Parlamentsdebatte an, in der es um die bessere Regierungspolitik ging. Nur selten hatten die gegen Rousseff vorgebrachten Vorwürfe Bezug zum Amtsenthebungsverfahren. Ihre Gegner beschuldigten sie, falsche wirtschaftspolitische Maßnahmen zur falschen Zeit getroffen zu haben. Mitglieder der neoliberalen Partei PSDB und der konservativen PMDB warfen ihr vor, den Kongress nicht oder nicht ausreichend über die Maßnahmen zum Bundeshaushalt ‒ eine der Anschuldigungen im Verfahren ‒ unterrichtet zu haben. Rousseff verwies darauf, den Gesetzen und Vorgaben der Gerichte gefolgt zu sein. Zudem seien alle betroffenen Organe an den Entscheidungen beteiligt gewesen.

Vor dem Kongress sowie in mehreren Städten protestierten Gegner einer neoliberalen Politik der Interimsregierung unter Michel Temer und Unterstützer Rousseffs. Rückhalt erhielt diese zuletzt immer wieder durch die Frauenbewegung, aber auch durch die Organisationen der Wohnungslosen und Landlosen. Deren Anführer waren neben Rousseffs Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva als Gäste der Verteidigung in die Senatssitzung eingeladen.

Am Abend vor der Rede veröffentlichten namhafte Künstler und Intellektuelle einen Brief gegen die mögliche Amtsenthebung und stellten diese in eine Reihe mit dem Staatsstreich von 1964. In dem Schreiben, das sich über Nacht über die sozialen Medien verbreitete, heißt es: "Die Senatoren, die das Impeachment befürworten, werden in der Geschichte gebrandmarkt sein als jene, die den schlimmsten Angriff auf unsere Demokratie seit dem Militärputsch von 1964 anführten."

Zuvor hatten Prominente aus den USA, wie der Regisseur Oliver Stone, der Schauspieler Viggo Mortensen und der Sänger Harry Belafonte ihre Solidarität mit Dilma Rousseff erklärt.

  • 1. Anm. d. Red.: sogenannte Crimes de Responsabilidade
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