Mexiko / Menschenrechte

Demonstrationen in Mexiko zum 2. Jahrestag des Verschwindenlassens der 43 Studenten

Zehntausende fordern neue Ermittlungen zur Aufklärung des Verbrechens. Staatliche Behörden beschuldigt. Erneut Repression gegen Lehramtsstudenten

es_fellen_uns_43.jpg

Eine der Mütter der 43 Lehramtsstudenten bei der Demonstration am 26. September in Mexiko-Stadt
Eine der Mütter der 43 Lehramtsstudenten bei der Demonstration am 26. September in Mexiko-Stadt

Mexiko-Stadt. Angehörige der Opfer, Kommilitonen, Menschenrechtsorganisationen sowie soziale und politische Aktivisten haben in ganz Mexiko gegen das Verschwindenlassen der 43 Studenten der Lehrerfachschule "Raúl Isidro Burgos" in Ayotzinapa demonstriert. Die jungen Männer waren in der Nacht zum 27. September 2014 in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero von Lokal- und Bundespolizei angegriffen und verschleppt worden. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur.

Die von der mexikanischen Regierung als "historische Wahrheit" verkündete Erklärung des Geschehens lautet, dass die 43 Studenten von Mitgliedern der Drogenbande Guerreros Unidos in der Müllkippe von Cocula ermordet und verbrannt worden seien. Diese Version wurde jedoch von den Experten der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) und einer unabhängigen Gruppe von Gerichtsmedizinern aus Argentinien widerlegt.

Die Proteste, die am Wochenende begannen, beinhalteten auch künstlerische Aktivitäten und Konzerte in mehren Städten des Landes. Den Höhepunkt bildete eine Demonstration mit mehr als 30.000 Teilnehmern am Montag in der Hauptstadt, wo die Eltern der 43 ihre Forderungen nochmals deutlich machten: Die Umsetzung der Empfehlungen der CIDH, die Einleitung neuer Ermittlungen, die gerichtliche Verfolgung der Verantwortlichen, die Befragung des 27. Militärbataillons und Maßnahmen gegen das systematische Verschwindenlassen durch staatliche Organe. In Mexiko gelten derzeit 27.887 Menschen als verschwunden. Mehrere Mütter und Väter der 43 jungen Männer halten indes weiterhin die Unterrichtsräume ihrer Kinder in der Pädagogischen Hochschule in Ayotzinapa besetzt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Bis heute sind 113 Personen in Zusammenhang mit dem Angriff auf die Gruppe von Lehramtsstudenten vor zwei Jahren festgenommen worden, darunter der damalige Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca und seine Ehefrau. Sie werden beschuldigt, in enger Verbindung mit der organisierten Kriminalität zu stehen. Ein Gerichtsprozess gegen sie hat aber bis heute nicht stattgefunden.

Auch zwei Jahre danach sind Personen und Organisationen rund um die Aufklärung der Taten in Iguala Zielscheibe von Gewaltandrohungen. So erhielt das Menschenrechtszentrum Prodh kurz vor Demonstrationsbeginn via Twitter eine Morddrohung. Sie sollten sich davon fern halten, "wenn sie nicht wollen, dass ihr Blut vergossen wird. Der Chef hat bereits den Befehl gegeben." Auf einem beigefügten Bild sind Schusspatronen zu sehen.

Nicht einmal 24 Stunden nach Ende der Kundgebung in Mexiko-Stadt wurden im westlichen Bundesstaat Michoacán 49 Lehramtsstudierende von der dortigen Landespolizei, der Bundespolizei und dem neu geschaffenen Polizeikörper Mando Único festgenommen. Unter ihnen sind 33 Studentinnen, von denen fünf minderjährig sind. Sie alle sind an der Indigenen Lehramtsschule von Michoacán (Enim) eingeschrieben und in linken studentischen Dachverbänden aktiv.

Wie die Studierenden berichteten, verteilten sie Flugblätter auf einer von ihnen zeitweilig blockierten Bundesstraße, als auf dem Rückweg an die 35 Polizeipatrouillen eintrafen und mit großkalibrigen Waffen auf ihre Busse schossen. Es soll mehr als 30 Verletzte durch Kugeln und späteren Schlagstockeinsatz gegeben haben. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit in Michoacán rechtfertigte den Einsatz damit, dass die Studierenden zuvor acht Fahrzeuge beschlagnahmt hätten. Nach der Festnahme und der Überführung in Hochsicherheitsgefängnisse außerhalb des Bundesstaates zündeten zurück gebliebene Studierende als Reaktion zwei Fahrzeuge an, darunter vermutlich eines der Regierung. Die Geschehnisse haben an verschiedenen Punkten in der Region zu weiteren Protesten geführt, weswegen sich das Ministerium auch am Tag danach noch dazu veranlasst sah, aufgrund einer "Radikalisierung der Aktionen" eigene Polizeieinheiten von den studentischen Bewegungen fernzuhalten.

Dieses staatliche Vorgehen reiht sich in eine Vielzahl repressiver Aktionen gegen Studierende der Lehramtsschulen ein. Seit Jahrzehnten versucht der Staat, das besondere Lehrmodell in Mexiko, welches in den 1920er Jahren von ihm selbst eingerichtet wurde und mittellosen, meist indigenen Bauernkindern die Erlernung des Lehrerberufs für die Grundschule ermöglicht, abzuschaffen. Das scheiterte jedoch stets an dem Widerstand der Betroffenen.

Wenn Sie über diesen Artikel mitdiskutieren wollen, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion auf unserer Facebook-Seite oder folgen Sie einfach diesem Link