Kolumbien / Politik

Perspektiven nach Ablehnung bei "Plebiszit für den Frieden" in Kolumbien

Zustimmung zu Dialog mit Gegnern des Abkommens. ELN könnte bei kommenden Verhandlungen mit dabei sein. Verfassunggebende Versammlung wieder Thema

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Aufruf der "Nein"- Kampagne: Damit Kolumbien nicht das Schicksal Venezuelas ereile, "Schluss mit Santos - wähle das Nein"
Aufruf der "Nein"- Kampagne: Damit Kolumbien nicht das Schicksal Venezuelas ereile, "Schluss mit Santos - wähle das Nein"

Bogotá. Nach dem überraschenden, knappen Sieg des "Nein" zum Friedensabkommen zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Farc-Guerilla haben sich die Regierung und ihre verbündeten Parteien sowie die Grünen und die linke Partei Polo Democrático getroffen, um Wege zur Fortsetzung des Friedensprozesses zu finden. Dabei herrscht Konsens, dass die Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe, Centro Democrático (CD), die an der Spitze der Kampagne für das "Nein" stand, einen Dialog mit der Regierung und den Rebellen führen soll. Der Polo Democrático regt außerdem an, die ELN-Guerilla, mit der die Regierung die Friedensgespräche ausgesetzt hat, in neue Verhandlungen auch einzubeziehen.

Dass jetzt neue Wege für den Frieden mit der Guerilla gesucht werden müssen, liegt an der Anordnung des Verfassungsgerichtshofs zum Plebiszit. Darin ist festgelegt, dass ein Sieg des "Nein" die Umsetzung des Friedensabkommens durch Santos unmöglich macht, beziehungsweise dieses Ergebnis für den Präsidenten bindend ist. So darf das Regierungsoberhaupt den Sonderrechtsakt zur schnellen Abstimmung von Gesetzen und Verfassungsreformen im Sinne des Friedensvertrags im Kongress nicht in Gang setzen, wie es im Fall der Zustimmung möglich gewesen wäre. Dieses Initiativrecht ist allerdings nur dem Präsidenten, nicht aber anderen Staatsinstanzen verwehrt. Der Präsident behält das Initiativrecht jedoch, wenn er ein verändertes Friedensabkommen umsetzen will.

Vor diesem Hintergrund gibt es laut Experten vier mögliche Szenarien. Erstens könnten die Konfliktparteien eine verfassunggebende Versammlung einberufen, wie es die Farc von Anfang an vorgeschlagen hatten. Dies würde die Tür zu tieferen Veränderungen sowohl für die Aufstandsbewegung als auch für die ultrakonservativen Kreise öffnen, die am Sonntag gewonnen haben. Der Weg dahin würde nicht weniger als ein Jahr dauern, was an der Schwelle zu einem Regierungswechsel riskant sein könnte. Zweitens könnte eine Kongressfraktion die nötigen Gesetzentwürfe ins Parlament einbringen. Nach den Ergebnissen des Plebiszits würde jedoch wahrscheinlich keine Partei die politischen Kosten dafür tragen wollen. Drittens könnten die Beteiligten eine Neuverhandlung des Abkommens aufnehmen, um neue, aber auch bereits abgeschlossene Themen zur Diskussion zu stellen. Forderungen des Centro Democrático zur Inhaftierung der Rebellen in Gefängnissen, zum Verbot, dass sie politische Posten übernehmen könnten oder zur Behinderung der Umverteilung von Ländereien würden in den Gesprächen wieder einige Jahre kosten. Die schnellste  Variante wäre ein "nationaler Pakt" aller Parteien, durch den nur kleine Änderungen des bestehenden Abkommens ermöglicht würden.

Vorerst ist der Plan zur Entwaffnung der Farc innerhalb der nächsten 180 Tage eingestellt. Die Guerilla versicherte jedoch, dass sich die Guerillaeinheiten landesweit an den "bilateralen und definitiven Waffenstillstand als eine notwendige Maßnahme zur Entlastung der Opfer des Konflikts" halten werden und rief zu einer friedlichen Mobilisierung zur Verteidigung des unterzeichneten Friedensabkommens auf. Zugleich betonten die Farc in ihrem Kommuniqué: "Das Recht auf Frieden steht über Mehrheiten, denn es ist ein Recht, das die menschliche Würde bestimmt und ihr zugrunde liegt."

Ebenso hat die ELN "in diesem schwierigen politischen Moment" erneut ihren Willen beteuert, die öffentliche Phase der Friedensgespräche zu starten. Auf Twitter kündigten die Rebellen für die nächsten Tage "gute Neuigkeiten" über den Dialog mit der Regierung an.

Die Wahlenthaltung beim Plebiszit, bei dem das "Nein" mit einer knappen Mehrheit von 0,4 Prozent über das "Ja" gewann, war mit 62 Prozent die höchste der letzten 22 Jahre. In den Gebieten mit den meisten Konfliktopfern hat die Mehrheit der Bevölkerung für das "Ja" gestimmt, während die Einwohner der Regionen, die vom Krieg weniger betroffen sind, mit Ausnahme von Bogotá tendenziell mehrheitlich das "Nein" auf dem Stimmzettel angekreuzt haben. Für die Ablehnung hat es eine große Desinformationskampagne gegeben. So wurde in den Sozialen Netzwerken verbreitet, durch das "Ja" würde Kolumbien zu einem "kommunistischen Castro-Chavistischen Land"; oder dass die Rentner mit sieben Prozent ihrer Rente die Umsetzung des Friedensabkommens mitfinanzieren würden. Es mangelte außerdem an Unterstützung des "Ja" durch die kolumbianische Kirche. Bei vielen Katholiken hat sich die Idee breit gemacht, dass das Friedensabkommen durch eine angebliche "Gender-Ideologie" eine "homosexuelle Diktatur" fördern würde. Der Bezug zum Gender-Thema besteht in dem Friedensvertrag allerdings in der Priorität der Frauen in den Reformen, als Hauptopfer des Konflikts.

Während Santos noch vor zwei Tagen versichert hatte, der "bilaterale und definitive Waffenstillstand" bleibe trotz des "Nein" bestehen, gab er nun am Dienstagabend bekannt, dass er vonseiten des Staates zunächst nur noch bis zum 31. Oktober aufrechterhalten werde.

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