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Brasiliens De-facto-Regierung will Staatsausgaben für 20 Jahre festsetzen

Haushaltsbremse in erster Lesung bewilligt. Einschnitte bei Einkommen und Sozialpolitik befürchtet. Budgeterhöhung nur im Rahmen der Inflation möglich

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Mit Brasiliens Präsident Temer verbundene Abgeordnete feiern das Abstimmungsergebnis
Mit Brasiliens Präsident Temer verbundene Abgeordnete feiern das Abstimmungsergebnis

Brasília. Die brasilianische De-facto-Regierung unter Michel Temer hat im Abgeordnetenhaus die erste Hürde für die fiskalpolitische Haushaltsbremse der Bundesausgaben für die kommenden 20 Jahre genommen. Harte Einschnitte werden befürchtet.

Der die Haushaltsbremse festlegende Verfassungszusatz heißt PEC 241 / 2016 und wurde am 10. Oktober in erster Lesung in der Abgeordnetenkammer des brasilianischen Nationalkongresses von 366 der 480 Parlamentarier angenommen. Dafür war eine Mindeststimmenzahl von 308 "Ja"-Stimmen notwendig. Über die PEC 241 muss noch in zweiter Lesung in der Abgeordnetenkammer und noch zwei Mal im brasilianischen Senat abgestimmt werden. Der Verfassungszusatz sieht das Einfrieren sämtlicher Bundesausgaben für einen Zeitraum von 20 Jahren vor. Damit bildet das Budget des Jahres 2016 die Basis, im Folgejahr könnte es höchstens um die Inflation des Vorjahres angehoben werden.

Kritiker befürchten harte Einschnitte vor allem im Bereich der Einkommen, Renten, Bildung, Gesundheit und des sozialen Wohnungsbaus. Selbst das staatliche Wirtschaftsforschungsinstitut IPEA warnte unlängst in einer ausführlichen Analyse vor den sozialen Einschnitten bei der Finanzierung des staatlichen Gesundheitswesens, die die Verabschiedung der PEC 241 für die Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt im Lande haben würde. Auch die direkt dem Gesundheitsministerium unterstellte Stiftung Fiocruz warnte explizit vor den sozialen Folgen im Gesundheitsbereich.

Zudem haben Ökonomen errechnet, dass bei einer Anwendung der Anteil des Sozialhilfe- und Schulförderungsprogramms Bolsa Família am Bruttoinlandsprodukts (BIP) innerhalb von zehn Jahren von acht auf vier Prozent und innerhalb von 20 Jahren bis auf drei Prozent des BIPs sinken würde. Dies habe damit zu tun, dass sich einige Faktoren wie beispielsweise Renten tendenziell über der Inflation entwickeln würden. Um das im Rahmen der PEC 241 vorgeschriebenen Höchstgrenze der Bundesausgaben auszugleichen, müssten automatisch andere sozialpolitische Posten entsprechend gekürzt werden, sollte der Zusatz zur Anwendung kommen. Die Ökonomen kamen daher zu dem Schluss, die PEC 241 sei eine "perverse Maßnahme".

Der Verfassungszusatz könnte nach Ansicht von Wirtschaftswissenschaftlern aber durchaus auch deutliche Einschnitte beim Niveau der Realrenten und des gesetzlichen Mindestlohnes zur Folge haben. So hatte der Wirtschaftswissenschaftler João Sicsú schon vor Monaten errechnet, dass die Umsetzung von Temers Plänen zur fiskalpolitischen Haushaltsbremse zu massivem Einschnitten bei der gesetzlichen Rente führen würde. Rückblickend auf die vergangenen zwölf Jahre konstatierte Siscú, dass eine solche Politik, wäre sie in der letzten Dekade angewandt worden, dazu geführt hätte, dass das Niveau der gesetzliche Rente 40 Prozent niedriger als heute liegen würde.

Auch beim gesetzlichen Mindestlohn, so hatte es der ehemalige Arbeits- und Sozialminister der Regierung Dilma Rousseff, Miguel Rossetto, errechnet, hätte eine solche fiskalpolitische Haushaltsbremsenpolitik, wäre sie in der letzten Dekade angewandt worden, dazu geführt, dass das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns heute nicht bei 880 Reais (rund 244 Euro) sondern bei 500 Reais (rund 139 Euro) liegen würde.