Forderung nach Direktwahlen von Präsident und Parlament in Brasilien

Brasília. Der Oberste Gerichtshof Brasiliens (STF) ermittelt seit Donnerstag gegen den De-facto-Präsidenten Michel Temer wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit, Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Grundlage sind Audio-Aufzeichnungen von Gesprächen des Unternehmers Joesley Batista mit Temer sowie Batistas Aussagen als Kronzeuge bei der Staatsanwaltschaft. Michel Temer erklärte am Samstag erneut, er sei das Opfer einer politischen Intrige und werde nicht zurücktreten. Das vorgebliche Telefonat mit Joesley Batista sei zusammengeschnitten und insofern gefälscht, dies hätten eigene Untersuchungen ergeben. Er forderte das Gericht auf, die Ermittlungen sofort einzustellen. Am Freitag hatte Temer ranghohe Generäle zum politischen Frühstück eingeladen, was als Unterstützung des Militärs für den amtierenden Präsidenten gedeutet wurde.

Ein sofortiges Amtsenthebungsverfahren gegen Temer wäre möglich, da sich der mutmaßliche Fall von Korruption während seiner Amtszeit als Präsident ereignet hat. Würde er des Amtes enthoben, müssten nach geltendem Recht keine Neuwahlen ausgeschrieben werden, sondern der jetzige Parlamentspräsident Rodrigo Maia (DEM) würde das Amt übernehmen. Maia ist in den Untersuchungen des Korruptionsskandals Lava-Jato schwer belastet worden, von dem Baukonzern Odebrecht soll er 600.000 Reais (rund 200.000 Euro) an Bestechungsgeldern erhalten haben. Die parlamentarische Opposition und die sozialen Bewegungen fordern daher immer vehementer sofortige Neuwahlen. Für den heutigen Sonntag sind Massendemonstrationen geplant, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Nachdem die Vorwürfe gegen Temer bekannt geworden waren, fanden bereits zahlreiche Demonstrationen statt, darunter in Brasília und São Paulo.

Joesley Batista, dessen internationaler Konzern JBS zu den Marktführern der brasilianischen Fleischindustrie gehört, hatte sich bereits Anfang April an die im Korruptionsskandal Lava-Jato ermittelnden Staatsanwälte gewandt. In jetzt vom Obersten Gerichtshof veröffentlichten dreistündigen Aussagen belastet er neben anderen Aécio Neves (PSDB), Präsidentschaftskandidat 2014, und José Serra (PSDB), Präsidentschaftskandidat 2002 und 2010 sowie von Mai 2016 bis Februar 2017 Temers Außenminister. Außerdem habe er im Auftrag des PT-Kampagnenmanagers Guido Mantega im Ausland Konten im Namen der ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff (beide von der Arbeoterpartei PT) eröffnet, deren Gesamtsaldo 150 Millionen US-Dollar betragen habe. Batista gab an, JBS habe die Kampagnen von 1.829 Kandidaten aller Parteien in allen Bundesstaaten finanziert. Offiziell hat JBS im Wahlkampf 2014 rund 400 Millionen Reais an Parteien gespendet, weitere 100 Millionen (rund 33 Millionen Euro) seien inoffiziell gezahlt worden.

Gegen JBS ermittelt die Staatsanwalt wegen Betrug und Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Krediten der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES. Batista wurden seitens der Staatsanwaltschaft allerdings Straffreiheit und ein Aufenthaltsrecht in den USA zugesichert.

Aécio Neves wurde aufgrund der Aussagen Batistas am Donnerstag auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom Obersten Gerichtshof als Senator suspendiert, genießt jedoch parlamentarischen Schutz und wurde nicht in Haft genommen, wie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Den Parteivorsitz hat er vorübergehend niedergelegt.

Das Material wurde vom STF am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) veröffentlicht und enthält ein Telefonat, in dem Michel Temer der Zahlung von Schweigegeld an den ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha zustimmt. Cunha war einer der Protagonisten des Amtsenthebungsverfahrens gegen die 2014 gewählte Präsidentin Dilma Rousseff. Seit Oktober 2016 befindet er sich in Haft und wurde inzwischen zu 15 Jahren Gefängnis wegen Bestechung verurteilt.

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