Regierung in Mexiko spioniert Menschenrechtler und Journalisten aus

Recherche legt Angriffe auf regierungskritische Akteure offen. Indizien weisen auf Verantwortung des Staates hin. Regierung bestreitet Verantwortung

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"Wir sind empört!" – Reaktion der Menschenrechtsgruppe CentroProdh in Mexiko
"Wir sind empört!" – Reaktion der Menschenrechtsgruppe CentroProdh in Mexiko

Mexiko-Stadt. Staatliche Stellen in Mexiko haben offenbar die Spionagesoftware Pegasus der Firma NSO Group dazu verwendet, um Regierungskritiker, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Anwälte von Gewaltopfern zu überwachen. Ein entsprechender Bericht der US-Tageszeitung The New York Times (NYT) sorgt in dem Land derzeit für Aufsehen.

Der NYT-Artikel beruht auf einer Recherche der mexikanischen Nichtregierungsorganisationen Articulo19, R3D, Social Tic und dem interdisziplinären Team Citizen Lab der Universität von Toronto, Kanada. Das Team hat dokumentiert, wie die Spionagesoftware Pegasus, die von Regierungen für die Überwachung von Terroristen und Kriminellen in Verwendung ist, von der mexikanischen Regierung missbraucht wurde, um gegen unliebsame Akteure vorzugehen.

Besonders krass ist der Fall der mexikanischen Journalistin Carmen Aristegui. Nach vorliegenden Informationen wurde nicht nur ihr Team, sondern sogar ihr minderjähriger Sohn überwacht. Der Lauschangriff auf Aristegui erreichte einen Höhepunkt, als sie einen Korruptionsskandal um die Präsidentengattin Angélica Rivera aufdeckte: Rivera nutzt ein Luxusapartment in Miami, das der Firma Grupo Pierdant gehörte, die zahlreiche Staatsaufträge erhalten hat.

Zum Ziel der Überwachung wurde auch der Journalist Carlos Loret de Mola, als er zwischen 2015 und 2016 über die Hinrichtungen von Zivilisten durch Militärs in Tanhuato im mexikanischen Bundesstaat Michoacán recherchiert hatte.

Die Menschrechtsorganisation CentroProdh wurde ebenfalls überwacht. Als die Ermittlungsergebnisse der internationalen Expertenkommission GIEI zum Fall der bis heute verschwundenen 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa publiziert wurden, bekamen drei Mitarbeiterinnen der Organisation zahlreiche Kurznachrichten von unbekannten Absendern auf ihre Handys. Die enthaltenen Links lösten den Download der Spionagesoftware aus.

Auch im Fall der 22 vom Militär hingerichteten Zivilisten in Tlatlaya im Bundesstaat México wurde das CentroProdh ausspioniert. Ziel war offenbar auch, an Details zur Arbeit der Menschenrechtsorganisation zu 26 Frauen aus der Ortschaft Atenco zu gelangen, die von Bundespolizisten 2006 vergewaltig wurden. Das CentroProdh hatte diese Frauen beraten.

Die Journalisten Daniel Lizárra und Salvador Camarena, Gründer der NGO Mexikaner gegen die Korruption und die Straflosigkeit (MCCI), wurden 2016 überwacht, als sie Korruptionsskandale des damaligen Gouverneurs von Veracruz, Javier Duarte, bekannt machten.

Juan Pardinas, Direktor des Mexikanischen Instituts für die Wettbewerbsfähigkeit (IMCO), wurde überwacht, nachdem sich das IMCO für ein Antikorruptionsgesetz aussprach. "Wir sind die neuen Feinde der Regierung", kommentierte Pardinas.

Laut der NSO Group ist es nicht möglich, genau herauszufinden, wer hinter der Spionage steckt. Es lasse sich nur feststellen, zu welchem Zeitpunkt ein Lauschangriff stattfindet. Es sei unwahrscheinlich, dass Kriminelle sich Zugang zu Pegasus verschafft haben, so der Hersteller: Die Software kann nur von den Behörden verwendet werden, die sie verwenden.  

Bei der Pressekonferenz der Betroffenen, bei der auch John Scott Railton von Citizen Lab anwesend war, wurden weitere Details der Überwachung bekanntgegeben. So gehören laut Railton die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft, das Verteidigungsministerium und das Zentrum für Ermittlungen und Nationale Sicherheit zu den mexikanischen Behörden, die Pegasus verwenden.

Zu dem Fall meldete sich inzwischen auch der US-Whistleblower Edward Snowden per Twitter zu Wort. "Es ist nicht wichtig, ob es eine Überraschung ist oder wir davor gewarnt waren. Das Wichtigste ist, dass es sich um ein Verbrechen gegen die Öffentlichkeit handelt."

Das Büro der Vereinten Nationen in Mexiko verurteilte in einem Kommuniqué die Spionageangriffe. "Die Tatsache, dass Journalisten, Aktivistinnen, Anwälten und Menschenrechtsverteidiger Ziel dieser Aktionen sind, ist besonders gravierend, weil sie in einem demokratischen Staat eine wichtige Rolle spielen", so der UN-Vertreter Jan Jarab.

Die mexikanische Regierung veröffentlichte indes einen offenen Brief an die Betroffenen. Darin heißt es, es gebe "keinen Beweis dafür, dass Regierungseinrichtungen für die angebliche Spionage verantwortlich sind". Bei einer öffentlichen Veranstaltung sagte Peña Nieto: "Wir sind eine Gesellschaft, die sich oft überwacht fühlt, sogar ich. Auch ich habe eine Handy-Kurznachricht von Unbekannten erhalten, aber ich versuche immer vorsichtig zu sein."

Die Software Pegasus funktioniert über den Versand von SMS an das Handy der betroffenen Person. Es genügt, dass die Zielperson eine dieser SMS beantwortet oder einen darin enthaltenen Link öffnet, um den Spionageangriff auf die Daten zu ermöglichen.

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