Lithium in Lateinamerika: Auf Abbau- und Exportboom folgt die Kritik

Bolivien, Argentinien, Chile und Brasilien mit besonderer Rolle bei Förderung des Alkalisalzes. Verbraucherländer argumentieren mit Umweltschutz

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Das Alkalimetall Lithium landet in Batterien, Keramik und anderen chemischen Produkten
Das Alkalimetall Lithium landet in Batterien, Keramik und anderen chemischen Produkten

La Paz/Brasilía/Buenos Aires/Santiago. Der bolivianische Vize-Energieminister Luis Echazú hat die führende Rolle seines Landes beim Abbau von Lithium betont und einen massiven Ausbau dieser Industrie prognostiziert. Mit über 10.000 Quadratkilometern verfüge Bolivien mit dem Salzsee Salar de Uyuni auf einer Höhe von 3.600 m ü. NHM über die größte Salzpfanne der Erde, die mit ungefähr zehn Milliarden Tonnen eines der weltgrößten Lithiumvorkommen birgt, neben Mineralien wie Kalium, Bor und Magnesium. Bolivien und die Nachbarländer seien als primäre Absatzmärkte zum Ausbau der Solarenergie vorgesehen. Umweltschützer sehen den Boom jedoch kritisch, die Debatte verspricht an Schärfe zu gewinnen.

Aktuell würden laut bolivianischer Regierung Investitionen von über 900 Millionen US-Dollar zum Aufbau der Lithiumindustrie getätigt: mit bisher 66 Millionen US-Dollar habe sie den Bau zweier Lithiumkarbonat-Pilotfabriken am Rand des Uyuni-Salzsees im Departement Potosí finanziert und plane dort weitere 875,5 Millionen US-Dollar zu investieren. Echazú geht vom Interesse europäischer und asiatischer Firmen aus. Eine der beiden Fabriken habe seit 2014 bereits über eine Million US-Dollar Einnahmen aus dem Verkauf von Lithiumkarbonat, Kaliumsalzen für die Landwirtschaft und Natriumchlorid zur Wegbefestigung erzielt. Die Fabrik wurde inzwischen allerdings an asiatische Investoren verkauft.

Historisch konzentrierte sich der Abbau auf das sogenannte "Lithium-Dreieck" oder "Puna-Plateau", das sich über die hochandinen Salzseen in Bolivien, Chile, Argentinien und Teile Brasiliens erstreckt, wo rund 85 Prozent der Weltlithiumreserven liegen. Diese vier Länder haben 2017 ihre Förderanstrengungen intensiviert, weil sich der Lithiumpreis von 1.670 Euro in 1998 auf 8.600 Euro in 2017 verfünffacht hat. Anders als Kupfer und weitere Metalle wird Lithium nicht an der Börse gehandelt, sondern sein Preis wird zwischen Produzenten und Käufern ausgehandelt.

Zahlreiche transnationale Konzerne wie Mitsubishi, Toyota, Nissan, Samsung, Siemens, Monsanto, die britisch-argentinische und die US-Handelskammer sind den Einladungen der argentinischen, brasilianischen und chilenischen Regierungen gefolgt, Verträge über viele Millionen US-Dollar über zehntausende Hektar große Lithium-Neuvorhaben abzuschließen. Das bolivianische Parlament schuf 2017 per Gesetz die staatliche Firma Yacimientos del Litio Boliviano (YLB), die das Recht hat, Partnerschaften mit privaten Firmen einzugehen, solange YLB anteilig die Mehrheit behält.

Auch das deutsche Unternehmen K-UTEC AG Salt Technologies erhielt bereits 2015 von Boliviens Regierung einen Auftrag über 4,5 Millionen Euro für die Planung einer großen Förderanlage, die pro Jahr 30.000 Tonnen Lithiumkarbonat für Elektroautobatterien liefern soll.

Rubén Armendáriz, uruguayischer Analyst beim Centro Latinoamericano de Análisis Estratégico, kritisiert, dass durch Lithiumförderung unter dem Deckmantel sauberer Energiegewinnung die Natur kontaminiert und traditionelle Landrechte verletzt würden. Die Lithium-Aufbereitung dauert zwei Jahre und benötigt die komplexe Konstruktion großflächiger Verdunstungsteiche, die nur 40 Prozent des Lithiums extrahieren.

Allein in den argentinischen Provinzen Jujuy und Salta explorieren mindestens neun Konzerne Lithium und planen in Kürze den Abbau auf dem Land von über 40 indigenen Gemeinden, von denen nur sieben widerwillig ihre "Zustimmung" zu diesem Eindringen auf ihr Land gegeben hätten.

Die steigende Batterie-Nachfrage der USA und Europas zur Umrüstung von fossil auf elektrisch betriebene Kraftfahrzeuge ignoriere Armendariz zufolge die sozialen und ökologischen Schäden durch den Lithiumbergbau. Er beklagt, dass Industrieländer und transnationale Konzerne sich den Zugang zu den südamerikanischen Lithium-, Graphit- und Kobaltreserven sichern wollten. Industrievertreter aus Europa, Nordamerika und Südostasien versuchten sogar mit der "Unfähigkeit" der südamerikanischen Staaten zu argumentieren, die den Umweltproblemen beim Lithiumbergbau keine Grenzen setzen würden, um so zu rechtfertigen, dass westliche Firmen mit "neuen, schnelleren, billigeren, effizienteren" Methoden Zugang zu den südamerikanischen Lithiumreserven erhielten. Derzeit würde ein Lieferengpass bestehen, der den als umweltverträglich geltenden Elektromobilitäts-Ausbau bremse.

Isabel Allende, chilenische Senatorin und Tochter des ermordeten Expräsidenten Salvador Allende, betonte indes, dass Chile beim Lithium anders als beim Kupfer nicht seine Führerschaft an internationale Firmen verlieren dürfe. Die Gewinne aus der Lithiumgewinnung müssten zum Wohl des eigenen Landes eingesetzt werden. Die Debatte erinnert an den Streit um den Nutzen der Kupferproduktion unter der Regierung von Salvador Allende, der das Kupfer gegen den Widerstand transnationaler Konzerne und der USA nationalisiert hatte.

Lithium eignet sich aufgrund seiner hohen Energiedichte gut als Stromspeicher. Es wird vielseitig eingesetzt: in Satelliten, Raumschiffen, Computer- und Mobiltelefon-Akkus, Herzschrittmachern, Klimaanlagen, Atomreaktoren, in Autos und Elektrofahrrädern sowie Medikamenten. Laut Goldman Sachs wuchs die globale Lithium-Nachfrage 2016 um 26 Prozent und soll bis 2018 um weitere 39 Prozent steigen.