Justiz für den Frieden in Kolumbien auf der Kippe

Verfassungsgerichtshof und Senat ändern Justiz für den Frieden. Senat lehnt Richter mit Menschenrechtserfahrung ab. Friedensanhänger und Linke empört

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Im Kongress von Kolumbien wurden aus Protest diese Transparente aufgehängt: "Wir Opfer sagen Ja zum Frieden. Ja zur Wahrheit."
Im Kongress von Kolumbien wurden aus Protest diese Transparente aufgehängt: "Wir Opfer sagen Ja zum Frieden. Ja zur Wahrheit."

Bogotá. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat in der vergangenen Woche die Sonderrechtsprechung für den Frieden (JEP) stark modifiziert und dann abgesegnet. Der Senat seinerseits hat am Folgetag das entsprechende Gesetz mit tiefgreifenden Veränderungen verabschiedet. Diese Woche soll das Repräsentantenhaus die Regelung ratifizieren. Opfer- und Menschenrechtsorganisationen beklagen jedoch, dass die Änderungen den Geist des Friedensabkommens verleugnen und diesen Prozess gefährden. Die JEP ist essentieller Bestandteil des 2016 in Havanna unterzeichneten Friedensvertrags zwischen der ehemaligen Guerilla Farc und der Regierung.

Zu den einschneidenden Veränderungen zählt, dass kein Jurist mit Arbeitserfahrung in Anklagen gegen den Staat wegen Menschenrechtsverletzungen Richter bei der JEP sein darf. Durch diese Entscheidung werden viele bereits ausgewählte Richter nun ausgeschlossen. Der Vorstand der JEP nahm in einer Pressemitteilung Stellung und bezeichnete die Änderungen als nicht verfassungsgemäß. Die kolumbianische Zivilgesellschaft verurteilte die Entscheidung in den sozialen Medien unter dem Hashtag #CongresoVerguenzaNational als "nationale Schande".

Der Verfassungsgerichtshof hat seinerseits festgelegt, dass er Urteile der JEP-Gerichte anfechten darf. Dies ist ein schwerer Verstoß gegen die in dem Friedensvertrag vereinbarte Autonomie der Übergangsjustiz. Weiterhin schloss das Verfassungsorgan Dritte aus der JEP aus: Gemeint sind Politiker, Unternehmer und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft, die mitverantwortlich für Verbrechen während des bewaffneten Konflikts bis 2016 waren. Sie sind somit nicht verpflichtet, sich der JEP zu stellen. Vor allem die Finanzierung des Paramilitarismus bleibt damit weiterhin unangreifbar.

Indes haben Friedensorganisationen die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, Druck auf den kolumbianischen Staat auszuüben, um den "Schiffbruch des Friedens" zu verhindern. Dies teilte die Gemeindeorganisationen für den Frieden Conpaz in einem offenen Brief an Papst Franziskus, an den ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, den amtierenden UN-Generalsekretär António Guterres und den UN-Sicherheitsrat mit.

Die Farc, seit letztem Jahr eine politische Partei mit dem Namen "Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común", sieht den Geist des Friedensvertrags verleugnet und den Prozess der Wahrheitsfindung und der Entschädigung der Opfer in Gefahr. "Der Grund für die JEP war nicht nur der Übergang der Guerilla in die Zivilgesellschaft. Wenn die am Konflikt beteiligten Angehörigen der Zivilgesellschaft und der staatlichen Institutionen nicht einbezogen werden, verfolgen wir weiterhin eine Politik der Straflosigkeit und der Verachtung der Opfer. Dies trägt in keiner Weise zur Aufdeckung der Wahrheit bei", heißt es in einer Pressemitteilung der Partei. Die Farc will nun beim Internationalen Strafgerichtshof in der Sache vorstellig werden.

Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos und dessen enger Berater in den Friedensverhandlungen, Humberto de la Calle, begrüßten indes das Urteil. Am Wochenende erst nominierte die Liberale Partei Kolumbiens de la Calle zu ihrem Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2018. Nach den Entscheidungen des Gerichtshofes und des Senats muss die JEP diese Woche noch vom Repräsentantenhaus ratifiziert werden.

Die Sonderrechtsprechung für den Frieden ist Bestandteil des Rechtsetzungsakts 01 von 2017, der eine Rechtsgrundlage für die Suche nach der Wahrheit, die Schaffung von Gerechtigkeit sowie für die Opferentschädigung und Nicht-Wiederholung schafft. Zu diesen Maßnahmen zählen neben der Sonderrechtsprechung auch die Einberufung einer Wahrheitskommission und die Schaffung eines staatlichen Organs zur Suche nach im Zuge des Konflikts Verschwundenen.