Sacharow-Preis: EU-Parlament verharmlost Paramilitärs aus Kolumbien

Biografie aus dem Europaparlament beschreibt Kontakte von venezolanischen Preisträger zu rechtsgerichteten Milizen aus Kolumbien

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Bewaffneter Träger des "Sacharow-Preises für geistige Freiheit" des Europaparlaments: Lorent Saleh aus Venezuela
Bewaffneter Träger des "Sacharow-Preises für geistige Freiheit" des Europaparlaments: Lorent Saleh aus Venezuela

Straßburg/Caracas. Das Europäische Parlament hat am Mittwoch den diesjährigen Sacharow-Preis an Vertreter der Opposition aus Venezuela verliehen. Bei der Zeremonie in Straßburg sagte der konservative Parlamentspräsident Antonio Tajani, es sei "der bedeutendste Preis, den die EU an jene verleiht, die Menschenrechte verteidigen". Die Preisvergabe war jedoch auch von Kritik von Europaabgeordneten und einer Reihe von Unstimmigkeiten überschattet. So weist die Kurzbiografie eines Preisträgers seine Kontakte mit rechten Milizen aus Kolumbien aus – ohne das dies weiter problematisiert wird.

Die in Straßburg anwesenden Vertreter der Opposition bedankten sich für die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung. "Wir werden unseren Kampf so lange fortführen, bis die demokratische Opposition in unserem Lande gewinnt", sagte der Präsident des oppositionell dominierten Parlaments, Julio Borges. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro habe "die Demokratie in Geiselhaft genommen", sagte der Politiker der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit, PJ).

Auch der ehemalige Bürgermeister von Groß-Caracas, Antonio Ledezma, gab sich kämpferisch. "Wir lassen nicht zu, dass man den Geist einsperrt", so der Politiker von der Alianza Bravo Pueblo (Allianz Mutiges Volk, ABP). Der Preis des Europaparlaments, sagte er, "verleiht uns neue Energie, um unseren Kampf für die Werte der Demokratie fortzusetzen, die wir alle teilen". Ledezma hat sich kürzlich aus Venezuela abgesetzt, wo er einen Prozess wegen Beteiligung an Putschvorbereitungen im Jahr 2015 erwartete. Ferner sind Verbindungen zu Lorent Saleh dokumentiert, der im Mittelpunkt von Ermittlungen über Gewaltaktionen und Anschlagspläne steht. Die Justizbehörden hatten Ledezma aus Gesundheitsgründen Hausarrest gewährt.

Genau das aber wurde von einem Teil der Europa-Abgeordneten bestritten. Vertreter der linksgerichteten Fraktion GUE/NGL blieben der Verleihung am Mittwoch demonstrativ fern. Sie sprachen von einer "Instrumentalisierung" des Preises. "Wir glauben nicht, dass die Politiker, die von Europaparlament als demokratische Opposition in Venezuela bezeichnet werden, dieses Kriterium erfüllen", heißt es in einer per E-Mail verbreiteten Erklärung, die amerika21 vorliegt.

Tatsächlich befinden sich unter den Geehrten in diesem Jahr auch der rechtsgerichtete Politiker Leopoldo López und der Studentenaktivist Lorent Saleh. Für die Mehrheit des Europäischen Parlaments vertreten López und Saleh die "politischen Gefangenen in Venezuela". López spielte bereits bei einem Putschversuch 2002 eine Rolle. Gegenwärtig verbüßt er eine in Hausarrest umgewandelte Haftstrafe. Ihm wird die maßgebliche Verantwortung für blutige Proteste im Jahr 2014 zugewiesen.

Saleh stand der Nichtregierungsorganisation "Operation Freiheit" vor, die sich die "Bekämpfung der Linken auf dem gesamten Kontinent" zum Programm gemacht hat. Der heute 30-Jährige wurde im September 2014 von Kolumbien an Venezuela ausgeliefert, da die kolumbianischen Behörden Salehs Aufbau eines Netzwerks von Paramilitärs unterbinden wollten.

Politisch wurde die Preisverleihung sehr unterschiedlich bewertet. "Die Preisvergabe an die demokratische Opposition in Venezuela ist ein wichtiges Zeichen des EU-Parlaments für den Schutz von Demokratie und Menschenrechten und gegen autokratisches Handeln in Lateinamerika", sagte Petra Kammerevert, stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments.

Kritik kam indes nicht nur aus Brüssel und Straßburg selbst, sondern auch aus Berlin. "Während Sacharows Kritik an der sowjetischen Führung stets von Gewaltfreiheit geprägt war, stehen einige der nun Prämierten aus Venezuela für das krasse Gegenteil: blutige Proteste, Putschversuche, Schwulenhass und Rechtsextremismus", sagte die Vizevorsitzende der Linken im Bundestag, Heike Hänsel.

Dafür, dass sich das Präsidium des Europaparlaments mit den Preisträgern politisch verrannt hat, sprechen mehrere Indizien. Zum einen betrifft das die Zahl von 130 toten Oppositionellen. Die von der Presse hinreichend dokumentierte Angabe bezieht sich auf die Gesamtzahl der Todesopfer während der Proteste der Regierungsgegner zwischen April und August dieses Jahres. Darunter fallen aber auch Unbeteiligte und Vertreter des Regierungslagers, die angegriffen und von denen einige bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Aus dem Europaparlament hieß es auf Anfrage von amerika21, dass die Zahl der 130 toten Oppositionellen von der Nichtregierungsorganisation Foro Penal Venezolano stammt. Diese Organisation steht der Opposition nahe und ist keine unabhängige Quelle. Offenbar wurde die Zahl aber nicht mehr überprüft.

In einer internen Information über die Preisträger heißt es in den biografischen Angaben über Saleh: "Er reiste nach Kolumbien, wo er die Beziehungen zu lokalen Organisationen und einigen paramilitärischen Bewegungen ausbaute". Zudem hat er Medienberichten zufolge an Treffen einer kolumbianischen Nazigruppierung teilgenommen.

Aus dem Europaparlament wurde auf Nachfrage verlautbart, es handele sich bei den biografischen Angaben um "eine interne Information, die nicht die Position des Parlaments wiedergibt". Allerdings wurde die Biografie vom Parlamentssekretariat an die Abgeordneten verschickt. Den Dokumentinformationen zufolge wurde sie am 30. November von einem Parlamentscomputer erstellt, der auf den Namen Olga Blatakova angemeldet war.