Nach Sacharow-Preis: Aufrufe zum Sturz der Regierung in Venezuela

CDU-Vertreter aus Europaparlament und Oppositionelle fordern Regimewechsel in Venezuela. Einseitige Darstellung der politischen Lage. Debatte unerwünscht

img_7268.jpg

Im Europäischen Haus in Berlin kamen Oppositionelle aus Venezuela und EU-Politiker zusammen. Man war einer Meinung.
Im Europäischen Haus in Berlin kamen Oppositionelle aus Venezuela und EU-Politiker zusammen. Man war einer Meinung.

Berlin. Vertreter der venezolanischen Opposition und des EU-Parlaments haben in Berlin zum Sturz der Regierung von Präsident Nicolás Maduro in Venezuela aufgerufen. Bei einer Podiumsdiskussion zwei Tage nach Verleihung des Sacharow-Preises des Europäischen Parlaments an venezolanische Oppositionelle forderten die Teilnehmer zugleich mehr Sanktionen und einen erhöhten politischen Druck auf die Regierung in Caracas.

Der nach dem sowjetischen Physiker, Friedensnobelpreisträger und Dissidenten Andrei Dmitrijewitsch Sacharow benannte Menschenrechtspreis wird seit 1988 verliehen. Das EU-Parlament vergab die Auszeichnung in diesem Jahr an "die demokratische Opposition in der Nationalversammlung des Landes und alle politischen Gefangenen". Für letztere wird auf die Listung einer der Opposition nahestehenden Rechtshilfeorganisation verwiesen, dem "Foro Penal Venezolano", von der auch weitere Angaben offenbar ungeprüft übernommen wurden.

Bei der Veranstaltung im Europäischen Haus in Berlin, der lokalen Vertretung verschiedener EU-Institutionen, kündigte der CDU-Politiker David McAllister Ende der Woche weitere Sanktionen der EU gegen die venezolanische Regierung an. Dies werde derzeit in EU-Gremien diskutiert, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments. Mit dem Sacharow-Preis habe die Parlamentsmehrheit deutlich machen wollen, dass man das Vorgehen der Regierungsinstitutionen im Konflikt mit der Opposition nicht akzeptiere. "Natürlich wollen wir dabei auch Netzwerke nutzen", so McAllister, und die Opposition in dem südamerikanischen Land unterstützen. "Vielleicht schafft das die notwendige Einigkeit in der Opposition", so der CDU-Politiker, "denn Herr Maduro muss weg."

Nach Meinung von Günther Maihold, dem stellvertretenden Direktor der regierungsnahen deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, ist die Lage in dem südamerikanischen Ölstaat aus mehreren Gründen schwierig. Es gebe eine "humanitären Katastrophe, eine Militarisierung und eine politische Polarisierung". Es gehe daher darum, auch mit der Opposition in Venezuela einen neuen politischen Prozess zu initiieren, so Maihold. Vom laufenden politischen Dialog zwischen der venezolanischen Regierung und der Opposition hielt der Lateinamerika-Experte wenig. Die Gespräche, die von der EU offiziell unterstützt werden, brächten der Regierung Maduro nur Zeitgewinn.

Sowohl der CDU-Mann McAllister als auch Maihold, der zeitweise für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung tätig gewesen ist, bezeichneten den Einfluss von Russland und China in Venezuela als Hindernis für einen politischen Umbruch, weil, wie Maihold anmerkte, "diese beiden Länder das Regime stützen". Auch McAllister kritisierte, dass Peking und Moskau bei der Sanktionspolitik der USA und der EU gegen Venezuela "nicht mitmachen".

Die Vertreter der venezolanischen Opposition markierten ihre politische Position indes in drastischen Worten. Die Bürgermeisterin des venezolanischen Verwaltungsbezirks San Cristóbal im Teilstaat Táchira, Patricia Gutiérrez Ceballos, warb für "Solidarität für ein Volk, das unter einer der grausamsten Diktaturen in der Geschichte der Menschheit leidet". Die Regierung Maduro versuche, "ein kommunistisches Regime auf unserem nationalen Territorium zu errichten". Der ehemalige Bürgermeister des Großraums Caracas, Antonio Ledezma, rief zum Kampf gegen die "Diktatur" und "Narco-Diktatur" in Venezuela auf. Führende Vertreter von Regierung und Armee unterhielten nicht nur Kontakte zum Drogenhandel, sondern auch zu "terroristischen Staaten", sagte Ledezma in seiner Rede. Die Opposition verbreite die "Wahrheit, die explosiver als eine Atombombe ist", bekräftigte der Oppositionspolitiker, der inzwischen im spanischen Exil lebt.

Die Teilnehmer der Veranstaltung in Berlin vertraten mitunter sehr eigene Versionen der politischen Geschehnisse in Venezuela:

  • Gutiérrez Ceballos gab an, ihr Ehemann und Amtsvorgänger Daniel Ceballos sei inhaftiert, weil er Präsident Maduro öffentlich kritisiert habe. Tatsächlich sitzt der Politiker in Haft, weil er für gewaltsame Proteste mitverantwortlich gemacht wird, die mehrere Menschenleben gefordert haben.
  • Gutiérrez Ceballos sagte, die Regionalwahlen in Venezuela seien manipuliert worden. Tatsächlich wurde eine Wahlbeeinflussung nicht nachgewiesen.
  • Ledezma sagte, die britische Firma Smartmatic habe eine Fälschung der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung nachgewiesen. Tatsächlich hatte das Unternehmen keine Belege präsentiert.
  • Ledezma beklagte Morde durch regierungsnahe Milizen. Tatsächlich ging ein großer Teil der Toten während der Proteste dieses Jahr auf das Konto der Opposition, was er nicht erwähnte.
  • Das EU-Parlament gibt an, seit Anfang des Jahres seien "130 Oppositionelle ermordet" worden. Tatsächlich ist das die Gesamtzahl der Todesopfer der jüngsten Proteste, bei zahlreichen Opfern handelte es sich um Unbeteiligte, Anhänger des Regierungslagers und Polizisten; unter den Toten sind auch Oppositionelle, die beim Bombenbau ums Leben kamen.

Solche Hintergründe spielten bei der Vergabe des Sacharow-Preises in Straßburg und bei der folgenden Debatte in Berlin jedoch keine Rolle. Auf die Zahl der Todesopfer währen der Proteste in Venezuela angesprochen, sagte McAllister gegenüber amerika21: "Ich muss davon ausgehen, dass das, was hier an Zahlen genannt wird, zutreffend ist, ich kann das nicht beurteilen." Auch zu der Auszeichnung eines Inhaftierten Oppositionellen, Lorent Saleh, der Kontakte zu kolumbianischen Paramilitärs unterhielt, wollte sich der CDU-Politiker nicht weiter äußern. "Von diesem Einzelvorgang habe ich gehört, das müsste ich aber im Einzelnen verifizieren", sagte er lediglich. Salehs Kontakte zu den rechtsgerichteten Milizen, die von Menschenrechtsorganisationen für einen Großteil der Gewalttaten im dem Nachbarland Venezuelas verantwortlich gemacht werden, waren in einem Dokument des Europaparlaments ohne weiteren Kommentar beschrieben worden.

Eine Debatte über diese Widersprüche war in Berlin nicht gewünscht. Moderatorin Anke Plättner vom Nachrichtensender Phoenix stellte weitgehend Gefälligkeitsfragen, Nachfragen der Anwesenden waren nicht vorgesehen. In Straßburg hatten die Oppositionspolitiker Julio Borges und Antonio Ledezma eine anberaumte Pressekonferenz bereits zuvor kurzfristig platzen lassen.