Massenfestnahmen wegen angeblicher Mitgliedschaft in der ELN in Kolumbien

Beschuldigte Aktivisten waren als Vertreter der Zivilbevölkerung nach Ecuador gereist, um an den Friedensgesprächen von Regierung und ELN teilzunehmen

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Mahnwache vor der Staatsanwaltschaft in Cali am Tag der Anhörung
Mahnwache vor der Staatsanwaltschaft in Cali am Tag der Anhörung

Bogotá/Cali/Tumaco. Am vergangenen Freitag sind im Süden von Kolumbien 33 Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger festgenommen worden. Den Inhaftierten aus den Departments Valle del Cauca und Nariño wird vorgeworfen, mit der Guerillaorganisation Nationale Befreiungsarmee (ELN) in Verbindung zu stehen.

Die Gemeinsamkeit der Personen ist, dass sie ins Nachbarland Ecuador gereist waren, um als Vertreter der Zivilbevölkerung an den Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der ELN in der Hauptstadt Quito teilzunehmen. Dies allein reicht nun der Staatsanwaltschaft aus, die Personen wegen Rebellion anzuklagen. Die Teilnahme der Bevölkerung an den Friedensverhandlungen ist seitens der ELN ein grundlegendes Kriterium und wurde von der Regierung garantiert. Olga Araujo, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Nomadesc in Cali, sagte gegenüber Amerika21: "Die Verhaftungen dienen der Einschüchterung der sozialen Bewegungen und der Torpedierung des Friedensprozesses mit der ELN durch die kolumbianische Regierung".

Die Festnahmen verstoßen nach Angaben von Anwälten gegen das rechtlich vorgeschriebene, ordnungsgemäße Verfahren. So war es bei einigen der Inhaftierten stundenlang unmöglich festzustellen, wohin sie gebracht wurden. Zudem sind manche Personen – obwohl noch keine Anklage erhoben worden war – bereits in einen Hochsicherheitstrakt eingeliefert worden. Andere sind mehrere hundert Kilometer von ihren Wohnorten entfernt in Untersuchungshaft. Die Verhafteten wurden allesamt in den Justizpalast nach Cali gebracht, wo seit vergangenem Samstag die Anklagen laufen. Bei Verurteilung wegen Rebellion müssen die Beschuldigten mit Haftstrafen von 20 Jahren und mehr rechnen. Sofern Details zu den Haftbefehlen bekannt wurden, wird ihnen neben Rebellion auch Bereitschaft zu schweren Straftaten, unerlaubte Bereicherung, Herstellung und Handel mit Drogen sowie illegaler Waffenbesitz und widerrechtlichet Anwendung militärischer Gewalt vorgeworfen. Die Prozesse werden von den Vereinten Nationen beobachtet und begleitet.

Soziale und politische Organisationen sowie Familienangehörige der Betroffenen halten vor der Staatsanwaltschaft in Cali, in deren Zellen sich die Mehrheit der Gefangenen befindet, Mahnwachen ab. Sie fordern die sofortige Freilassung und rufen internationale Organisationen auf, Druck auf die kolumbianische Regierung auszuüben. Sie werten die Festnahmen als einen Angriff gegen soziale Bewegungen, die sich für den Friedensprozess einsetzen. Im Kontext des vorläufigen Endes der Friedensverhandlungen in Quito sei die Anschuldigung der ELN-Mitgliedschaft ein Versuch der Kriminalisierung linken Protests, erklärte Fabian Laverde, Sprecher der landesweiten Organisation Congreso de los Pueblos gegenüber Amerika21. "Diese Festnahmen sind eine politische Strategie der Delegitimierung der linken Opposition im Land. Die Regierung kriminalisiert den sozialen Protest", sagte er weiter. Laut Staatsanwaltschaft soll es noch 36 anhängige Haftbefehle geben, die in den nächsten Tagen vollzogen werden.

Unterdessen hat die Tageszeitung Diario del Sur am 22. April ein brisantes Detail zu den Anklagen veröffentlicht. In einem Exklusivinterview gab der angebliche Hauptbelastungszeuge Carlos John Cabrera Ruales alias Mono Sergio bekannt, dass er entgegen der Behauptung der Staatsanwaltschaft niemals einen Teil der Angeklagten aus Nariño der Mitgliedschaft in der ELN bezichtigt habe. "Das ist vollkommen falsch. Es handelt sich um eine juristische Inszenierung", sagte er. "Die Staatsanwaltschaft hat mir die Freilassung und sogar politisches Asyl angeboten, wenn ich sie belaste", so Cabrales Rurales weiter. Er sei bereit, all dies gegenüber der Justiz zu bezeugen. Cabrera Rurales ist Mitglied der ELN und sitzt derzeit im Hochsicherheitsgefängnis in Jamundí in Haft.

Die Verhaftungen fanden kurz nach den Ankündigungen Ecuadors statt, sich als Garantenstaat für die Verhandlungen zwischen ELN und kolumbianischer Regierung zurückzuziehen. Laut Präsident Santos hätten sich Chile, Brasilien, Kuba und Norwegen angeboten, als Gastgeber für die folgenden Friedensgespräche zu fungieren.