Mexiko vor den Wahlen: Kein Ende der Morde

Wenige Wochen vor den Wahlen erleidet das Land neue Höhepunkte des Schreckens. Die Spirale der Gewalt schraubt sich auch 2018 unaufhaltsam nach oben

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Das Kartell Jalisco Neue Generation (CJNG) zählt derzeit zu den einflussreichsten Verbrechergruppen Mexikos
Das Kartell Jalisco Neue Generation (CJNG) zählt derzeit zu den einflussreichsten Verbrechergruppen Mexikos

Mexiko-Stadt. Nachdem das Vorjahr mit knapp 27.000 Morden das tödlichste der letzten zwei Jahrzehnte gewesen ist, hat die mexikanische Regierung nun ihre Vierteljahresstatistik für den Zeitraum Januar bis April 2018 veröffentlicht. Demnach stieg die Mordrate mit 10.395 Fällen sogar noch um 21 Prozent gegenüber 2017 an. Eine gleiche dramatische Entwicklung verzeichnen die Feminizide: Mit 269 Morden liegt die sexuelle Gewalt mit Todesfolge gegen Frauen und Mädchen genau ein Fünftel höher als im Jahr davor.

Eines von unzähligen Beispielen ereignete sich am Dienstag in der zweitgrößten Stadt des Landes, Guadalajara. Das Attentat am helllichten Tag auf den ehemaligen Generalstaatsanwalt Luis Carlos Nájera des Bundesstaates Jalisco schlug fehl. Sechs der Angreifer wurden festgenommen. Sie werden der Organisation Kartell Jalisco Neue Generation (Cartel Jalisco Nueva Generación, CJNG) zugerechnet, die derzeit zu den einflussreichsten Verbrechergruppen des Landes zählt. Das CJNG sorgt in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Während im Mai 2015 eine groß angelegte Militäroperation zur Festnahme des vermuteten Anführers Nemesio Oseguera Cervantes alias El Mencho führen sollte, errichteten Mitglieder der kriminellen Gruppe bis zu 40 brennende Straßenblockaden in drei Bundesstaaten. Am selben Tag schossen sie einen Militärhubschrauber des Verteidigungsministeriums ab. Die Operation blieb erfolglos.

Auch im Fall der drei im April entführten Filmstudenten aus dem Bundesstaat Jalisco trägt offenbar das CJNG die Verantwortung. Dass die jungen Männer laut Staatsanwaltschaft in Säure aufgelöst worden seien, ist in Mexiko kein Einzelfall.

Auffallend an der derzeitigen Gewaltwelle ist ihre geographische Komponente. Zehn der 25 tödlichsten Bezirke befinden sich in der Region Zentrum-Westen des Landes. Aber auch die unter Touristen stark frequentierte karibische Küstenstadt Cancún wird von einer Mordserie heimgesucht. Erneut wird dadurch ersichtlich, wie sehr sich von Jahr zu Jahr die Orte der Gewalt räumlich abwechseln. Im Abgleich mit wissenschaftlichen quantitativen Studien ähnelt die gegenwärtige Situation stark der Hochphase der Auseinandersetzungen zwischen dem organisierten Verbrechen und dem Staat im Jahr 2010/2011. Oder anders ausgedrückt: Konfliktlinien zwischen verfeindeten Gruppen, die sich aus Teilen einer jeden Seite zusammensetzen.

Ein weiteres Zentrum der Gewalt ist die Stadt Tijuana an der Grenze zu den USA. Sie war am Wochenende Austragungsort der zweiten Fernsehdebatte zwischen den vier verbliebenen Anwärtern auf das Präsidentenamt bei den kommenden Wahlen am 1. Juli. Dabei macht die Gewalt auch vor dem Wahlkampf nicht halt: Bisher fielen ihr 95 Kandidaten auf politische Ämter zum Opfer. Und am vergangenen Sonntag wurde Jorge Nájera García, der für die nationale Wahlbehörde INE als Wahlleiter im Bundesstaat Guerrero arbeitete, ermordet.

Die aktuellen Zahlen bestätigen die Kritiken gegenüber der Regierung des amtierenden Präsidenten Enrique Peña Nieto, die eine militärische Lösung des seit 2006 andauernden sogenannten Krieges gegen die Drogenkartelle befürwortet. Für die Ausweitung von Wirtschaftsbeziehungen ist dies jedoch offenbar kein Hindernis, wie erst der jüngste Besuch von Peña Nieto in Hannover im April zeigte. Auf der weltgrößten Industriemesse, bei der Mexiko in diesem Jahr Partnerland war, warben er und Bundeskanzlerin Angela Merkel für freien Handel. Wenige Tage darauf wurde das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko abgeschlossen.