Argentinien: Juristen kritisieren "Polizeistaat" in der Provinz Jujuy

Im Fall Milagro Sala und der anderen Tupac Amaru-Gefangenen hat eine internationale Juristengruppe die Verletzung fundamentaler Rechte festgestellt

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Kundgebung von Tupac Amaru in Jujuy, Argentinien, für die Freilassung von Milagro Sala (Januar 2016)
Kundgebung von Tupac Amaru in Jujuy, Argentinien, für die Freilassung von Milagro Sala (Januar 2016)

Salta. Knapp zweieinhalb Jahre nach der Verhaftung der argentinischen Aktivistin und Anführerin der sozialen Basisorgansiation Tupac Amaru, Milagro Sala, in Jujuy hat eine Delegation internationaler Menschenrechtsexperten die Region aufgesucht und Gespräche mit Betroffenen geführt. Nach Besuchen in den Gefängnissen Alto Comedero und Gorriti, in denen Mitglieder der Organisation inhaftiert sind, sowie einem Treffen mit Sala in ihrem Hausarrest prangerten die Delegierten die Menschenrechtssituation in der nördlichsten argentinischen Provinz scharf an. Die Sprüche des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (CIDH) im Fall Sala seien von der Justiz bislang nicht umgesetzt worden. Der Rechtsstaat sei außer Kraft gesetzt und die Provinz werde von Gouverneur Gerardo Morales, einem Verbündeten von Staatspräsident Mauricio Macri, mit terroristischen Mitteln regiert, so die Einschätzung der Rechtsexperten.

Die beiden kolumbianischen Anwälte Meyerly Garzón und Francisco Ramírez Cuellar, Mitglieder der Delegation, äußerten sich in einem Interview mit der Tageszeitung Pagina12 zu den politischen Zuständen in Jujuy. Dort herrsche "ein Polizeistaat, der Personen aus dem einzigen Grund anklagt und stigmatisiert, weil sie einer sozialen Organisation angehören." Bei Anzeigen wegen Übergriffen durch die Sicherheitskräfte würden die Betroffenen selbst beschuldigt und mit Gerichtsverfahren überzogen. "Die Gesellschaft ist stark eingeschüchtert. Menschen haben aus Angst aufgehört, politisch aktiv zu sein."

Im Fall Sala und der anderen Gefangenen aus der Tupac Amaru sehen die Juristen die Verletzung fundamentaler Rechte. Aufgrund der überlangen und durch keinerlei Beweise gestützten Untersuchungshaft werde ihnen das Recht auf einen ordnungsgemäßen Prozess sowie das Prinzip der Unschuldsvermutung vorenthalten. Zudem seien die Bedingungen der Haft unzumutbar. Das gesundheitliche Wohlergehen der Gefangenen sei nicht sichergestellt. Es komme immer wieder zu körperlicher und psychischer Folter. Schließlich würden auch Angehörige und das engere Umfeld der Gefangenen systematisch kriminalisiert und verfolgt. "Der internationale Druck auf die politischen und ökonomischen Verantwortlichen sowie auf die zuständigen Richter muss verdoppelt oder verdreifacht werden", so das Fazit der Rechtsexperten.

Milagro Sala war im Januar 2016 wegen ihrer Teilnahme an Protesten gegen Gouverneur Gerardo Morales verhaftet und in Untersuchungshaft genommen worden. Diese dauert nun bereits fast zweieinhalb Jahre, obwohl das Gesetz maximal zwei Jahre vorsieht. Gleichzeitig leitete die Justiz zahlreiche weitere Verfahren gegen Sala ein. Erst zwei davon wurden bislang verhandelt. In einem Fall wurde sie freigesprochen, im zweiten zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Auf Druck der Vereinten Nationen und der CIDH wurde Sala Ende August des Vorjahres aus dem Gefängnis Alto Comedero entlassen. Sie wurde jedoch nicht wie gefordert in Hausarrest genommen, sondern in einem zu einer Art Privatgefängnis umgebauten Gebäude der Organisation Tupac Amaru inhaftiert.

Salas‘ Organisation Túpac Amaru wurde 1998 mit dem Ziel gegründet, benachteiligten Bevölkerungsgruppen soziale Grundrechte zukommen zu lassen. So wurden in den letzten Jahren etwa zahlreiche soziale Wohnungsbauprojekte durchgeführt, Gesundheitszentren und Schulen errichtet und betrieben sowie Arbeitskooperativen gegründet. Túpac Amaru ist zu einem der wichtigsten Arbeitgeber der Provinz geworden. Während die Organisation seitens der Vorgängerregierung dafür staatliche Mittel erhielt, versuche die Regierung der UCR unter Gerardo Morales ihren Einfluss nun systematisch zu brechen. Zwar ist ihr Schwerpunkt Jujuy, Túpac Amaru ist inzwischen aber in 15 der 23 argentinischen Provinzen aktiv.