Venezuela: Proteste der Beschäftigten im öffentlichen Dienst nehmen weiter zu

Widerstand gegen Einheitsgehälter auf Mindeslohnniveau. Metro-und Bahnarbeiter setzen Tarifverträge durch. Regierung verspricht neue Lohnskalen

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Angestellte des öffentlichen Dienstes bei einer Protestaktion vor dem Sitz des Arbeitsministeriums in Caracas am 12. September (Screenshot)
Angestellte des öffentlichen Dienstes bei einer Protestaktion vor dem Sitz des Arbeitsministeriums in Caracas am 12. September (Screenshot)

Caracas. Die Angestellten im öffentlichen Dienst in Venezuela haben ihre Proteste ausgeweitet. Sie fordern eine Überprüfung der bestehenden kollektiven Verträge im Zuge der von Präsident Nicolás Maduro im August und September eingeleiteten Wirtschaftsreformen, die eine Erhöhung des Mindestlohns um 3.000 Prozent beinhalten.

Angestellte aus dem staatlichen Gesundheits- und Bildungsbereich und der Post, aus Industriebetrieben und dem öffentlichem Verkehr führten jeweils eine Reihe von Kundgebungen und Demonstrationen durch. Sie schlossen sich damit den Protesten der Arbeitnehmer des Elektrotechnik- und Telekommunikationssektors und der Metro in den vergangenen Wochen an.

Die Forderungen der Protestierenden, die größtenteils dem chavistischen Lager angehören, betreffen die vormals vereinbarten Tarife und Leistungen, die durch die jüngste wirtschaftliche Umgestaltung faktisch aufgehoben wurden. Im September wurde temporär eine einheitliche Tarifregelung angewendet, die alle Gehälter auf den neuen Mindestlohn von 1.800 Bolivares Soberanos (Bs.S) (rund 18 US-Dollar zum Schwarzmarktkurs) festlegte. Die Arbeitnehmer beklagen, dass Fachkräfte dadurch unabhängig von ihrer Erfahrung, Ausbildung oder Verantwortlichkeit das selbe Gehalt bekommen wie ihre untergeordneten Kollegen. Auch seien die zahlreichen Leistungs- und Bonusprogramme nicht entsprechend angepasst worden.

Die Proteste gehen indes in zahlreichen Regionen des Landes weiter. Dazu gehören Demonstrationen, Straßensperren und Kundgebungen vor lokalen staatlichen Behörden, um die Forderungen vorzubringen. Zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam es nicht.

Die jüngsten Demonstrationen folgen einer Reihe von Protesten im staatlichen Sektor Anfang dieses Jahres, bei denen chavistische Angestellte und Bauern von der Regierung forderten, die Korruption stärker zu bekämpfen, Investitionen in die Infrastruktur vorzunehmen sowie die für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Effizienz in staatlichen Unternehmen zu sorgen.

In der vergangenen Woche gingen auch Arbeiter des größten staatlichen Stahlunternehmens Sidor in Ciudad Guyana auf die Straße, zogen zum Büro des Arbeitsinspektors und brachten eine Petition ein, in der sie die Respektierung des kollektiven Tarifvertrages fordern.

Gewerkschafter im Bundestaat Nueva Esparta protestierten bei lokalen Behörden ebenfalls gegen die Standardisierung der Lohntarife. "Was wir fordern, ist, dass jeder Arbeiter nach seinen Verdiensten, nach der Lohntabelle und einem kollektiven Tarifvertrag bezahlt wird, nicht nach einem Einheitslohn", erklärte Pedro Semprun, Präsident der Anwaltsvereinigung der Isla Margarita..

Mit den jüngsten Reformen, die unter anderem auch die Freigabe von Devisenkontrollen, Währungs- und Steuerreformen sowie Änderungen bei den staatlichen Kraftstoffsubventionen beinhalten, wurde der nationale Mindestlohn von 55 auf 1.800 Bs.S angehoben, ohne dass weitergehende Gehaltsregelungen oder Bonusprogramme eingeführt wurden. Regierungsvertreter, darunter Arbeitsminister Eduardo Pinate, haben sich indes bereit erklärt, das Problem anzugehen.

Metro-Arbeiter in Caracas, Valencia, Maracaibo und Los Teques sowie die Bahnangestellten haben inzwischen eine Neufassung ihres kollektiven Tarifvertrags erreicht. Darin werden Löhne eingeführt, welche die Qualifikation und Erfahrung als auch die Anpassung aller erhaltenen Boni berücksichtigen. Der neue Vertrag enthält zudem einen Bonus für Kinderbetreuung, den der bisherige nicht hatte.

Francisco Torrealba, Gewerkschafter des Transportwesens und Mitglied der verfassunggebenden Versammlung erklärte, ähnliche Vereinbarungen mit anderen Sektoren, wie beispielsweise dem Bildungs- und Gesundheitswesen, würden aufgrund des Drucks der Basis in Kürze getroffen werden.

Der Vorsitzende der Erdölgewerkschaft, Wills Rangel, sagte ebenfalls zu, dass alle Sozialleistungen und Boni für die Arbeiter des Sektors erbracht werden und noch in diesem Monat eine neue Lohnskala zu erwarten sei.

Unterdessen haben vergangenen Woche auch Vertreter oppositioneller Gewerkschaften und Parteien in mehreren Bundesstaaten zu Protesten gegen den Einheitslohn aufgerufen.