Brasilien / Politik

Wahlen in Brasilien: "Demokratie in Gefahr"

Reaktionen auf die Wahlergebnisse in einem radikal geteilten Land. Rechtsextremer Militarist und linker Philosophieprofessor am 28. Oktober in der Stichwahl

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"Ele Não" (Er nicht): Frauendemonstration gegen den ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro in São Paulo
"Ele Não" (Er nicht): Frauendemonstration gegen den ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro in São Paulo

Brasília. Nach 33 Jahren Demokratie sind die Brasilianer dabei, einen Freund der Militärdiktatur demokratisch in den Sattel zu heben. Mit 46 Prozent der Wählerstimmen für Jair Bolsonaro im ersten Wahlgang hat der extremistische Kandidat der Sozialliberalen Partei (PSL) alle Erwartungen übertroffen. Die linke Arbeiterpartei (PT) von Fernando Haddad (29 Prozent) kämpft nun um die Stimmen aller Demokraten im Land. Haddad nannte den zweiten Wahlgang die „goldene Chance“ für das Fortbestehen der Freiheit in Brasilien.

"Die Eliten, die Bolsonaro ausgesucht haben, gefährden das Leben anderer", warnt die Zeitung El Pais Brasil: "Es ist nicht notwendig, dass der Extremist der PSL auch nur ein Gesetz verabschiedet, wenn er gewählt wird. Schlicht sein Aufstieg ist schon eine Autorisierung zu demütigen und sogar zu töten", fürchtet die Journalistin Flávia Marreiro.

Als ersten Akt nach der Wahl besuchte Haddad Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Gefängnis. Danach erklärte er gegenüber der Presse, alle progressiven Kräfte müssten sich nun um ein einziges Ziel herum vereinen: die Wiederherstellung der Entwicklung mit sozialer Integration im Land. Er werde mit allen Demokraten sprechen. Den zweiten Wahlgang nennt er die "goldene Chance für vernünftige Argumente und den Sieg der Freiheit".

Unterdessen hat die PT ein brisantes Dossier aus Bolsonaros aktiver Zeit beim Militär ausgegraben. Am Tag nach der Wahl berichtete sie über Vorgänge aus den 1980er-Jahren auf ihrer Website. Das Dossier enthält Beobachtungen und Bemerkungen von Vorgesetzten und eines Kollegen, in dem er als "intrigant" und "feige" charakterisiert wird, auch als "Kanaille" und "Schmuggler". Später, als Ex-Militär und Politiker habe er seine alte Kaserne wiederholt aufgesucht, um aggressiv Parteiwerbung zu betreiben und die Führung der Truppe schlecht zu machen. 1991 bekam Bolsonaro in allen Kasernen von Rio de Janeiro für ein Jahr Hausverbot. "Niemals wieder hat die Armee so eine Art Strafe gegen einen Parlamentarier verhängt", schreibt die Zeitung Diário do Centro do Mundo.

Soziologie-Professor Paulo Silvino unterstrich, wie notwendig die Beteiligung beider Präsidentschaftskandidaten an den Debatten vor der Stichwahl sei: Das werde Gelegenheiten bieten, die Oberflächlichkeit der bisherigen politischen Debatte zu überwinden. Dazu gehöre unter anderem das Argument, "gegen die PT" zu stimmen: "Die Menschen müssen verstehen, dass sie nicht nur gegen die PT stimmen können, sie müssen auch für ein Projekt sein". Silvino verweist auf Bolsonaros Entscheidung, obwohl er das Krankenhaus verlassen hatte, Fernsehdebatten fern zu bleiben und dem Wähler so keine Chance zu geben, seine Vorhaben zu beurteilen. "Leider haben wir keinen Wettbewerb mehr zwischen einem progressiven Projekt und einem neoliberalen. Jetzt steht ein progressives Projekt gegen das Ende der Demokratie", so der Soziologie.

Auch im Ausland gab es entsetzte Reaktionen auf das Resultat des Rechtspopulisten, der offen Diktatur und Folter verteidigt sowie faschistische Sprüche zu seinem Markenzeichen macht.

Die Zeitung Corriere Della Sera (Italien) schrieb: Bolsonaro hat die Wähler mit einer Politik gewinnen können "die auf Algorithmen der sozialen Netzwerke basiert, mit einem nicht existierenden Programm und keiner maßgebenden Klasse oder Partei im Hintergrund."

Der russische Kanal Russia Today nennt Bolsonaro den "Trump der Tropen", der eine emotionale Anti-Establishment-Welle aufgebaut habe. "Daraufhin war die Zustimmung beim Volk nach oben geschossen. Nicht anders hat es Donald Trump 2016 gemacht", so der Sender.

Die konservative deutsche Zeitung Die Welt hat die Wut der Brasilianer an den Urnen beschrieben und informiert über eine Seilschaft zu den USA: Bolsonaro habe sich im Wahlkampf vom ehemaligen Chefstrategen Trumps, Steve Bannon beraten lassen. "Brasilien rückt nach rechts. Und damit noch ein ganzes Stück weiter in Richtung Abgrund", schreibt die Zeitung am Montag.

Die Washington Post warf Bolsonaro vor, einzig auf der Welle der Enttäuschung über die Korruption im politischen System zum Erfolg gekommen zu sein. Sein Wahlergebnis reihe sich ein in "den massiven Vormarsch einer aufkeimenden globalen Bewegung von Rechtsnationalisten, die die wichtigsten politischen Posten in den USA, Osteuropa und den Philippinen erobert haben".

Auch die New York Times stellte die Nähe Bolsonaros zur Militärdiktatur und seinen polarisierenden Stil in den Fokus. "So stark Bolsonaro am Sonntag auch spielte, er bleibt eine äußerst spaltende Figur, die während des Wahlkampfs weite Teile der sehr heterogenen Bevölkerung Brasiliens voneinander entfremdet hat". Haddad stehe nun vor der fast unmöglichen Aufgabe, die Mehrheit der Brasilianer auf seine Seite zu ziehen. Dabei solle er sich "anstatt auf Rassismus und Misogynie, was nicht viel Wirkung hatte, auf die wirtschaftliche Agenda und den arbeitnehmerfeindlichen Aspekt der Bolsonaro-Kandidatur konzentrieren", zitiert das Blatt die Ökonomin von der Universität São Paulo, Laura Carvalho.

Für die argentinische Zeitung El Clarín war das Ergebnis nach den jüngsten Umfragen absehbar. Es sei zudem als Tendenz für die Stichwahl zu verstehen. Das politische Zentrum Brasiliens sei so rechts, dass es sich eher zu Bolsonaro hinwenden werde als zum linksgerichteten Haddad, so die Prognose.

La Nación, ebenfalls Argentinien, hob darauf ab, dass der Rechtsaußen bereits in der Wahlnacht einen Schwenk zum politischen Zentrum einleitete, um die fehlenden vier Prozent in der Stichwahl zu gewinnen. Über sein Facebook-Profil habe er versuchte, "auf Distanz zu seinen machistischen, homophoben und rassistischen Polemiken, zu gehen, die seinen Wahlkampf prägten". Freikirchler und der Sicherheitssektor sowie das Agrarbusiness haben in dem Ex-Militär, der die Schutzgebiete für Indigene auflösen will, ihren Vertreter, so die Nación.

In Mexiko schreibt die überregionale Zeitung La Jornada, ein möglicher Triumpf des Wirtschaftsliberalen sei sicher ein "Rückschritt für die Demokratie und eine Stärkung der schrecklichen Ursachen von Rassismus, Ausgrenzung, Misogynie, Homophobie und sozialer Rückständigkeit."