Piñera in Berlin: Zweifel an Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dinidad in Chile

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Aktivisten, darunter viele aus Chile, vor dem Kanzleramt am Mittwoch
Aktivisten, darunter viele aus Chile, vor dem Kanzleramt am Mittwoch

Berlin. Der Präsident von Chile, Sebastián Piñera, hat während seines Besuchs bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwochnachmittag über Möglichkeiten zur Aufarbeitung von Verbrechen der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad gesprochen. Der rechtskonservative Politiker sagte nach einem Gespräch im Kanzleramt, seine Regierung sei sich in der Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen mit der Bundesregierung einig. Beide Seiten planen offenbar ein Abkommen über die Eröffnung eines Dokumentationszentrums und womöglich einer Gedenkstätte für die Opfer der deutschen Sekte.

Nach Auskunft der Deutschen Presse-Agentur kamen am Mittwochabend im Bundestag zum ersten Mal Mitglieder der "Gemeinsamen Kommission zur Umsetzung des Hilfskonzepts für die Opfer der Colonia Dignidad" zusammen. Dem Gremium gehören Regierungsvertreter sowie acht Abgeordnete an. Der Menschenrechtspolitiker Michael Brand von der CDU-Fraktion sagte, es brauche neben Aufarbeitung und konsequenterer Strafverfolgung endlich auch konkrete Hilfsleistungen für die Opfer.

Chilenische Aktivisten in Deutschland standen dem Besuch Piñeras dennoch kritisch gegenüber. Eine handvoll Oppositioneller demonstrierte am Mittwochmittag vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Sie kritisierten, dass Merkel Piñera mit militärischen Ehren empfangen hatte. "Das wollen wir uns nicht bieten lassen und deswegen rufen wir zu einer Protestkundgebung auf", hieß es in einem Aufruf, der online verbreitet wurde.

Auf Anfrage der Linksfraktion hatte die Bundesregierung schon im Vorfeld betont, dass sie sich "im ständigen Austausch mit der Regierung der Republik Chile zu allen Fragen, die die praktische Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad betreffen" befinde. Beide Seiten seien sich darin einig, "die Zusammenarbeit auszubauen und zu vertiefen, so zum Beispiel in den Feldern Strafverfolgung und Identifizierung von Opfern".

Bei der Opposition im Bundestag reagierte man auf diese Ankündigung mit Vorbehalt. Vor dem Hintergrund des jüngsten Urteils des Oberlandesgerichts Düsseldorf, wonach der in Chile zu fünf Jahren Haft verurteilte Sektenarzt Hartmut Hopp in Deutschland nicht in Haft muss, wäre es durchaus interessant, wie die Regierungen insbesondere die Strafverfolgung konkret voranbringen wollen, hieß es von dieser Seite. Aus der Linksfraktion wurde auch darauf verwiesen, dass in der rechtskonservativen chilenischen Regierung mehrere Anhänger der ehemaligen Pinochet-Diktatur (1973-1990) Minister sind. Insbesondere bei Hernán Larraín Fernández, Minister für Justiz und Menschenrechte, der früher sehr enge Beziehungen zur Colonia Dignidad pflegte, falle es schwer, an ein größeres Interesse an Aufklärung und Strafverfolgung der Täter zu glauben.

"Ich erwarte, dass die Bundeskanzlerin den Ankündigungen auch tatsächlich Taten folgen lässt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte. Viel zu lange sei weggesehen und geleugnet worden, seien Täter geschützt und die Opfer allein gelassen worden. "Gerade gegenüber der rechtskonservativen Regierung Piñera muss die Kanzlerin jetzt Druck machen und Klartext reden, damit die Aufklärung der Verbrechen der Colonia Dignidad vorankommt, die Opfer entschädigt werden und die Straflosigkeit ein Ende hat", so Korte.

Die Colonia Dignidad – ein bis zu 30.000 Hektar großes Areal in Zentralchile – diente Paul Schäfer bis kurz vor seinem Tod 2010 als Zentrale für sein Sekten- und Wirtschaftsnetzwerk, das auch über politische Kontakte verfügte. Parallel zur Etablierung der Colonia Dignidad nahm Schäfer zu rechtsextremen Gruppierungen in Chile Kontakt auf, ehemalige Nazis – einschließlich ranghoher Kriegsverbrecher – gingen in der Siedlung ein und aus. Die politischen Kontakte führten nach dem Militärputsch gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende im Jahr 1973 dazu, dass die Colonia Dignidad als Folter- und Vernichtungslager für Widerstandskämpfer genutzt wurde.