San José. Die parlamentarische Mehrheit, die am 5. Oktober für die Pläne des sozialdemokratischen Präsidenten Carlos Alvarado stimmte, war knapper als erwartet. Angesichts des für 2018 vorhergesagten Haushaltsdefizits von 7,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sowie einer erwarteten Staatsverschuldung von über 50 Prozent, hatte Alvarado schon im Wahlkampf Anfang des Jahres Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen angekündigt. War der alleinige Abgeordnete der Linkspartei Breite Front, José María Villalta, zu Beginn der Legislaturperiode der einzige Parlamentarier, der die Pläne ablehnte, so stimmten nun insgesamt 22 von 57 Parlamentariern mit Nein. Neben Villalta votierten vor allem die ultrakonservativ-evangelikale PRN und die populistische PIN gegen das Vorhaben. Präsident Alvarado hatte nach zähen Verhandlungen neben seiner Regierungspartei, der sozialdemokratischen PAC, fast die gesamten Fraktionen der christdemokratischen PUSC und der rechtssozialdemokratischen PLN hinter sich.
Das "Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Finanzen" sieht weitreichende Steuererhöhungen, Regulierungen der Staatsausgaben und Einsparungen im öffentlichen Dienst vor. Unter anderem wird die bisherige Umsatzsteuer in Höhe von 13 Prozent in eine Mehrwertsteuer umgewandelt. Für einige lebenswichtige Produkte wird ein reduzierter Steuersatz von einem Prozent gelten. Des Weiteren werden die Höchstsätze der Einkommenssteuer von zehn und 15 auf 20 und 25 Prozent erhöht, was Monatseinkünfte von über 3.100 Euro betrifft. Eine von der renommierten Universität von Costa Rica veröffentlichte Untersuchung über die Folgen der Steuererhöhungen prognostiziert einen tendenziell progressiven Effekt. Wenngleich wohlhabende Haushalte verhältnismäßig stärker von den Erhöhungen betroffen seien als arme, warnten die Forscher davor, dass knapp 18.000 Personen zukünftig unter die Armutsgrenze fallen könnten.
Laut Víctor Morales Mora, dem Fraktionsvorsitzenden der regierenden PAC, sei die Steuerreform eine "große Verantwortung" und "angesichts der Haushaltssituation ein absolut unbeliebtes, jedoch absolut notwendiges Thema", um eine Schuldenkrise wie in den 1980er Jahren zu verhindern. Gewerkschaften und soziale Bewegungen kündigten unterdessen weiteren Widerstand an. Am Tag der Abstimmung demonstrierten Gewerkschaften und Studierende gegen die Reformen, die sie als "neoliberale Austeritätsmaßnahmen" ablehnen.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes hatten auch auf Grund mangelnder Dialogbereitschaft der Regierung ab dem 10. September zu einem Generalstreik aufgerufen, der durch Demonstrationen und Straßenblockaden begleitet wurde. Die Regierung erklärte diesen Streik von Beginn an für "unverhältnismäßig und illegal". Arbeitsgerichte haben in der Zwischenzeit die Streiks in 15 staatlichen Institutionen für illegal erklärt. Dies hat zur Spaltung der Streikbewegung geführt, da einige Gewerkschaften daraufhin zur Wiederaufnahme der Arbeit aufriefen, während andere den Streik fortsetzen wollen. Vor allem die Lehrergewerkschaften verzeichnen weiterhin starke Mobilisierung. Die Gewerkschaften des Justizsystems kündigten für den 16. Oktober eine Großkundgebung in der Hauptstadt San José an. Roblin Apuy von der Lehrergewerkschaft APSE erklärte den Generalstreik schon jetzt zu einem Erfolg: "Wir begannen diesen Streik mit einem Abgeordneten auf unserer Seite und jetzt sind es bereits 22."
Befürworter und Gegner der Reform warten nun gespannt auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs. In der Vergangenheit hatte es tiefgreifende Steuerreformen stets für verfassungswidrig erklärt. Präsident Alvarado wiederholte, dass er gesprächsbereit sei, sobald die Gewerkschaften den Streik abbrechen. Diese wollen wiederum erst dann Gespräche führen, wenn die Regierung das Gesetzesvorhaben zurückzieht.