FAO: Unterernährung in Lateinamerika nimmt wieder zu

Welternährungstag: Jeder neunte Mensch hungert. Agrar-Großindustrie und Pestizideinsatz ungeeignet, die wachsende Bevölkerung nachhaltig zu ernähren

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Das ecuadorianische Partizipative Urbane Landwirtschaftsprogramm gewann einen Preis für weltbeste Politiken, die Agrarökologie voranbringen
Das ecuadorianische Partizipative Urbane Landwirtschaftsprogramm gewann einen Preis für weltbeste Politiken, die Agrarökologie voranbringen

Berlin. Am heutigen Welternährungstag – dem Gründungsdatum der Organisation der Vereinten Nationen für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) im Jahr 1945 – wird weltweit mahnend daran erinnert, dass immer noch 821 Millionen Menschen zu wenig zu essen haben.

In Lateinamerika stieg der Anteil der hungernden, unterernährten Bevölkerung laut FAO zuletzt wieder von 4,7 Prozent (2014) auf 5 Prozent (2017) an. Die Zahl der Armen und extrem Armen in ländlichen Gebieten der Region war seit den 1980er Jahren stetig gesunken, obwohl die extreme Ungleichverteilung von Land, Einkommen und Vermögen in vielen lateinamerikanischen Ländern fortbesteht.

Eine Ursache war laut FAO die fortschreitende Urbanisierung, da viele junge Menschen auf dem Land keine Perspektiven sehen und in die Städte abwandern. Inzwischen leben 58 Prozent der Armen Lateinamerikas in Städten und es wird erwartet, dass 2030 bereits über 80 Prozent der Bevölkerung in Städten lebt.

Der Agrarsektor in Lateinamerika bleibt stark dualistisch geprägt: Einer großen Anzahl von Kleinbäuerinnen und -bauern, die Grundnahrungsmittel für die nationalen Märkte produzieren, stehen wenige Mittel- und Großbetriebe gegenüber, die unter intensivem Einsatz von synthetischen Mineraldüngern, Pestiziden und Gentechnik industrielle Landwirtschaft betreiben. Ein Großteil dieser in wenig nachhaltigen Monokulturen produzierten "Cash Crops" wie Soja und Mais dient nicht der nationalen Ernährungssicherung, sondern ist für den Export bestimmt und wird in Europa als Tierfutter eingesetzt.

Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktionsflächen und die Intensivierung des Agrarchemie-Einsatzes hat sich in vielen südamerikanischen Ländern nicht in einer proportionalen Zunahme der Ernteerträge pro Hektar niedergeschlagen.

Zahlen des bolivianischen Institutes für Außenhandel zeigen beispielsweise, dass die landwirtschaftlichen Erträge nur wenig stiegen, obwohl der Pestizideinsatz in den letzten zehn Jahren verfünffacht wurde. Ursache ist die Abnahme der Bodenfruchtbarkeit im Zuge wiederholten chemischen Dünger- und Pestizideinsatzes.

In Argentinien belegen zahlreiche medizinische Studien in landwirtschaftlichen Intensivgebieten, dass Krebserkrankungen durch die Pestizidexposition stark angestiegen sind. Das Land war Vorreiter bei der Zulassung gentechnisch veränderter Sojabohnen im Jahr 1996, die kombiniert mit dem wahrscheinlich krebserregenden Herbizid Glyphosat angebaut werden. Dies ist aber kein Einzelfall.

In fast allen Ländern der Region ist in den letzten 20 Jahren der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide sprunghaft angestiegen: In Argentinien von rund 54.600 auf 207.700 Tonnen, in Brasilien von 101.000 auf über 377.000 Tonnen, in Bolivien von 3.740 Tonnen auf rund 50.000 Tonnen, in Kolumbien von 18.000 auf 47.000 Tonnen, in Peru von 3.755 auf über 26.000 Tonnen und in Guatemala von 12.000 auf rund 20.500 Tonnen.

Der World Future Council hat indes seinen Future Policy Award 2018 – dieses Jahr gemeinsam mit der FAO und dem Welt-Dachverband ökologischer Landbaubewegungen – den weltbesten Politiken gewidmet, die Agrarökologie voranbringen. Mit zwei der drei Silber-Preise wurden lateinamerikanische Länder gewürdigt. Ausgezeichnet wurde Brasiliens "Nationale Politik für Agrarökologie und ökologische Produktion" der 2016 gestürzten Mitte-Links-Regierung, weil sie unter anderem 364 Millionen Euro investiert hatte, damit 5.300 Munizipien 30 Prozent oder mehr ihres Schulspeisungs-Budgets für den Ankauf ökologischer Nahrungsmittel ausgeben.

Einen Silber-Oscar gewann das "Partizipative Urbane Landwirtschaftsprogramm von Quito" in Ecuador, bei dem in rund 3.600 urbanen Gärten auf 32 Hektar Land über 21.000 Menschen Schulungen erhielten und dadurch ihre Ernährungssicherheit, Einkommen und den Schutz ihrer Ökosysteme verbesserten.

Der World Future Council mahnt, dass nur durch eine Verbreitung agrarökologischer Ansätze die globalen Herausforderungen wie Hunger, soziale Ungerechtigkeiten, Klimawandel und Artensterben bewältigt werden können. Auch die FAO wies bei der Preisverleihung darauf hin, dass ein Übergang zu nachhaltigen Landwirtschafts- und Ernährungssystemen ohne Pestizide, Kunstdünger und Gentechnik entscheidend ist, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu erreichen.