Hans Modrow: Reform der Verfassung ist eine Chance für Kuba

Ex-DDR-Ministerpräsident zieht Parallelen zu Reformen in der DDR. Kuba könne Dynamik aufrechterhalten. Debatte über Demokratie und Eigentumsformen nötig

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Sieht Reformprozess in Kuba positiv: Hans Modrow
Sieht Reformprozess in Kuba positiv: Hans Modrow

Berlin. Der Linksparteipolitiker und letzte Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, hat den Prozess der Verfassungsreform in Kuba als Chance für das sozialistische Land bezeichnet. Zugleich zog er Parallelen zu einem entsprechenden Reformprozess in der DDR Ende der 1960er Jahre. Damals hatte es in Ostdeutschland auch eine Volksabstimmung gegeben, wie sie in Kuba vorgesehen ist.

In Kuba sei derzeit ein Prozess sichtbar, den man als Reformen oder eine weitere Reife der sozialistischen Entwicklung bezeichnen könne, "das mögen die Kubaner selber prüfen", so Modrow im Gespräch mit amerika21. "Wir in der DDR gingen davon aus, dass wir in den 1960er Jahren eine Entwicklung begannen, die sich vom Ursprung des sowjetischen Modells löste. Wir waren bemüht, ein neues ökonomisches System der Planung und Leitung zu entwickeln", sagte er. Diese Entwicklung sollte sowohl mit vielschichtigeren Eigentumsformen als auch mit dem Zurückdrängen der zentralisierten Wirtschaft und mit mehr Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft einhergehen. Das Ziel sei eine breite Einbeziehung der Bevölkerung über die Diskussion über eine neue Verfassung der DDR gewesen, die das Ergebnis einer Volksentscheidung am 6. April 1968 war.

Eine solche Entwicklung sehe er nun auch in Kuba, so Modrow, der den Karibikstaat in den vergangenen Jahren mehrfach bereist hat. "Es ist eine Chance, die in Kuba nach dieser ganz schwierigen Periode in Folge der Auflösung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1991 gewachsen und entstanden ist." Nach dem Untergang des europäischen Sozialismus sei in Kuba eine Zeit gekommen, die Fidel Castro als die schwerste nach der Kubanischen Revolution bezeichnete. "Und jetzt ist in Kuba wieder eine Situation erreicht, in der dieser Prozess aufgenommen und gestaltet werden kann", so Modrow.

Zugleich zeigte sich der Linkspartei-Politiker davon überzeugt, dass Kuba – anders als die DDR – die Dynamik des Reform- und Beteiligungsprozesses beibehalten kann. "Die Dynamik in der DDR ging mit dem Wechsel an der Spitze von Ulbricht zu Honecker verloren", erinnerte er: "Ebenso mit dem Umstand, dass man die soziale Leistung danach nicht mehr genügend mit der Tragfähigkeit der Wirtschaft verbunden hat." Damit sei eine Entwicklung zur Verschuldung der DDR und nicht eine Entwicklung der Akkumulation im Wirtschaftsbereich entstanden. Diese habe sich zugunsten der sozialen Leistungen und zuungunsten der ständigen Akkumulation für die Erneuerung der Wirtschaft und Industrie verschoben. "Kuba steht heute vor einer ähnlichen Situation. Das Bestreben der kubanischen Regierung richtet sich ja auf die Stärkung der Wirtschaft. Und das ist ein Ansatz, den man weiter verstärken und vertiefen sollte", so Modrow im amerika21-Gespräch.

Eine Gefahr bestehe durchaus im Entstehen einer neuen Oberschicht. "Hier bleibt der Staat in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen für eine Leistungsentwicklung zu geben und zugleich Grenzen zu setzen, um ein Auseinanderdriften in einen Reichtum für eine kleine Schicht und eine breite wachsende Armut zu verhindern", sagte er.

Die Streichung des Zieles einer kommunistischen Gesellschaft aus der Reformverfassung bewertete der letzte DDR-Regierungschef als positiv. "Ich würde sagen, das ist kein Rückschritt, sondern ein historischer Schritt, der darauf reagiert, dass die Lehre von Marx – an der Stelle auch in meinem Verständnis – etwas offen gelassen hat: Auch wir in der DDR begriffen den Sozialismus als eine lange währende und eigenständige historische Phase. Und diese historische Phase kann man nicht überspringen, in der muss die Gesellschaft reifen, in der wird sich die sozialistische Gesellschaft weiter entfalten können. Das sollte auch der Verfassungsgrundsatz in Kuba sein."

Ob eine offene und anhaltende Beteiligung der Bevölkerung an Reformprozessen das Schicksal der DDR verändert hätte, mochte Modrow nicht ausschließen: "Ich denke, das hätte den Prozess des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik in dem Maße wie er sich vollzogen hat verhindert." Mit einer eigenen, neuen Verfassung der DDR wäre auch die BRD gefordert gewesen, das Grundgesetz in eine neue Verfassung zu überführen, fügte er an. "Und es wäre nötig gewesen, eine wirkliche Volksentscheidsdebatte zu führen und diese Entscheidung aus dem Artikel 146, den es heute noch im Grundgesetz gibt, abzuleiten."