Frauen in Chile schreiben Geschichte

Fast 200.000 Menschen bei Protesten am 8. März in Santiago de Chile. Größter feministischer Protestmarsch in der Geschichte des Landes

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"Gegen die Prekarisierung des Lebens" steht auf dem Plakat der Frauendemo in Chile
"Gegen die Prekarisierung des Lebens" steht auf dem Plakat der Frauendemo in Chile

Santiago de Chile. Über 190.000 Menschen haben sich nach Angaben der Polizei für den Protestmarsch zum internationalen Frauentag in der chilensichen Hauptstadt versammelt. Am 8. März vor einem Jahr waren es rund 30.000.

"Wir haben es geschafft", sagt Jessica Leguá gegenüber Amerika21 und ist den Tränen nahe, als sie gegen 21 Uhr an der Bühne nahe der Straße Echaurren in Santiago de Chile ankommt, wo die Sängerin Ana Tijoux über sexuelle Selbstbestimmung rappt. "Das Patriarchat wird stürzen, der Feminismus wird siegen", rufen die Frauen gemeinsam. Eine über vier Kilometer lange Menschenmasse befindet sich auf der Hauptverkehrsstraße Alameda. Die Aktivistinnen der Coordinadora Feminista 8 de Marzo fallen sich in die Arme. Sie haben den Protestmarsch angeführt, sind in der ersten Reihe gelaufen und sie sind es auch, die den ersten landesweiten feministischen Streik in Chile organisiert haben.

Die 27-jährige Jessica Leguá ist Aktivistin und Mitglied der Coordinadora Feminista 8 de Marzo. "Wir sprechen nicht vom Frauenstreik, sondern vom feministischen Generalstreik. Dabei wird sowohl die formelle als auch die informelle, die produktive und die reproduktive Arbeit niedergelegt", erklärt sie. Sie trägt ein violettes T-Shirt und ein grünes Halstuch, dass für den Kampf für legale, sichere und kostenfreie Abtreibung steht. Die Aktivistinnen der Organisation haben das vergangene Jahr über Treffen mit verschiedenen sozialen und politischen Organisationen im ganzen Land organisiert, um den Feminismus als politische Perspektive zu etablieren.

Das politische Programm haben die Frauen beim "Plurinationalen Treffen der kämpfenden Frauen" (Encuentro Plurinacional de Mujeres que Luchan) erarbeitet. Sie haben zehn Forderungen aufgestellt, darunter das Ende der Gewalt gegen Frauen, das Recht auf würdevolles Wohnen, die Aufarbeitung der Verbrechen gegen Frauen während der Militärdiktatur, das Recht auf legale und kostenfreie Abtreibung und Bildung ohne Sexismus. Über 200 Organisationen in über 70 Städten sind der Aufforderung zum Streik und zum Protestmarsch nachgekommen. Verschiedene Universitäten im ganzen Land haben den feministischen Streik ausgerufen.

Der Frauenkampftag hat für die Aktivistinnen der Coordinadora Feminista 8 de Marzo bereits in den frühen Morgenstunden begonnen. Um fünf Uhr machten sich die ersten auf den Weg, um allen Statuen im Zentrum Santiagos grüne Halstücher umzuhängen. Um halb acht blockierte eine Gruppe von Frauen einen Kreisverkehr im Stadtviertel Peñalolen. Gegen neun Uhr versammelte sich eine Gruppe von Aktivistinnen vor dem Gericht, um Gerechtigkeit für Macarena Valdés zu fordern, eine junge Umweltaktivistin, die 2016 ums Leben kam und deren Todesumstände bis heute nicht aufgeklärt sind. Um zehn Uhr sprachen die Aktivistinnen bei einer Pressekonferenz vor Journalisten und Fernsehkameras. Anschließend ging der Tag weiter mit einer Theater-Intervention über Femizide, einem Protest für das Recht auf kostenloses Trinkwasser und vielen weiteren Aktionen.

Von Seiten der Regierung gab es kaum Unterstützung für den feministsichen Streik. Ganz im Gegenteil, die Frauenministerin Isabel Plá rief alle öffentlich Angestellten auf, nicht teilzunehmen und weigerte sich, die Initiative zu unterstützen. "Die Arbeiterinnen im öffentlichen Dienst haben das Recht, am Streik und am Protest teilzunehmen. Was die Ministerin gemacht hat, ist eine Drohung, eine Verletzung der Rechte der Arbeiterinnen", kritisiert Alondra Castillo, Sprecherin der Coordinadora 8 de Marzo.

Castillo ist erschöpft, aber zufrieden. Sie sagt gegenüber Amerika21: "Wir freuen uns und sind bewegt über die Breite und Vielfalt der Teilnahme. Wir hoffen, dass dieser Tag der Beginn eines Prozesses ist, in dem wir uns als Arbeiterinnen organisieren und unser politisches Programm durchsetzen, dass wir gemeinsam erarbeitet haben. Wir wollen es in alle Stadtviertel, Territorien, Gewerkschaften bringen um den Weg zu einer radikalen Transformation unserer Leben zu öffnen.“