Präsident von Brasilien beendet Ermittlungen zur Militärdiktatur

Jair Bolsonaro stellt per Dekret Untersuchungen von Massengräbern der Diktatur ein. In über 300 Fällen bleiben Leichen unbekannt

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"Die Stimme, die die Diktatur preist, bringt die Stimme der Bürger zum Schweigen!" Abgeordnete erinnerten 2014 der Diktatur am Jahrestag des Putsches. Der damalige Abgeordnete und heutige Präsident, Jair Bolsonaro, und sein Sohn Eduardo ließen es sich nicht nehmen, das Gedenken zu stören
"Die Stimme, die die Diktatur preist, bringt die Stimme der Bürger zum Schweigen!" Abgeordnete erinnerten 2014 der Diktatur am Jahrestag des Putsches. Der damalige Abgeordnete und heutige Präsident, Jair Bolsonaro, und sein Sohn Eduardo ließen es sich nicht nehmen, das Gedenken zu stören

Brasília. Die brasilianische Regierung hat veranlasst, dass die Suche und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern aus Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur (1964 – 1985) eingestellt wird. Per Dekret ordnete Präsident Jair Bolsonaro vergangene Woche das Ende der zwei Arbeitsgruppen Perus und Araguaia zur Identifizierung unbekannter Gebeine an. Die beiden Gruppen suchten nach den Überresten von politisch Verfolgten sowie bisher unbekannten Opfern der Militärdiktatur.

Die Ermittlungsgruppe Perus arbeitete an der Zuordnung von Knochenresten aus 1.047 Särgen, die 1990 in einem Massengrab im Westen von São Paulo gefunden worden. Erst im Jahr 2014 setzte die damalige Regierungschefin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) die Gruppe gegen den Willen der Militärs ein. Auch Opferverbände wurden in deren Arbeit eingebunden. Noch sind 30 Prozent der Körper nicht identifiziert worden. Die Arbeitsgruppe Araguaia forschte zum Verbleib von Mitgliedern der kommunistischen Landguerilla, die im Norden Brasiliens aktiv war. Die meisten der 65 Mitglieder kamen 1973 bei einem Hinterhalt der Militärs ums Leben oder verschwanden, urteilte die Interamerikanische Menschenrechtskommission im Jahr 2001.

In den 1970er Jahren entledigten sich Militärs und Polizisten ihrer Folteropfer, indem sie diese meist unter falschem Namen beerdigten oder sie unter unbekannte Obdachlose mischten, berichtet die Zeitung O Estado de São Paulo. Der Bericht der 2011 eingesetzten Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Militärdiktatur schätzt die Zahl der Toten auf 434.

Mit der Auflösung der Arbeitsgruppen werde die Suche nach Verschwundenen und die Aufklärung von Verbrechen der Militärdiktatur erheblich eingeschränkt, kritisiert die Bundesstaatsanwältin und Präsidentin der Ermittlungskommission, Eugênia Gonzaga. "Mehr noch als jene noch einmal zu begraben, die während der Militärdiktatur verschwanden, bringt die Regierung ein ganzes System zur Implosion, das auf Gerechtigkeit aus ist", so Gonzaga.

Die beiden Gruppen waren der Untersuchungskommission für die aus politischen Gründen Ermordeten und Verschwundenen unterstellt, die dem Familienministerium angegliedert ist. Da die Kommission selbst durch ein Bundesgesetz geschaffen wurde, kann sie durch ein Dekret nicht aufgelöst werden. Doch ohne die Ermittler und technischen Angestellten bleibt die Arbeit liegen. "Obwohl Mittel bereitgestellt und eine rechtliche Grundlage für den Auftrag existiert, gibt es infolge des Dekrets niemanden, der irgendein Dokument unterschreiben oder einen Auftrag erteilen könnte", erklärte die Präsidentin der Ermittlungskommission Gonzaga den Schachzug Bolsonaros.

Bereits als Abgeordneter hatte Bolsonaro die Suche nach den Verschwundenen kritisiert und die Folteropfer diffamiert. Provokativ hatte er neben einem Plakat posiert, auf dem unter der Überschrift "Verschwundene von Araguaia" die zynische Bemerkung stand "Wer nach Knochen sucht, ist ein Hund!"

In diesem Punkt sei Bolsonaro sehr kohärent, erklärt der Journalist Ivan Seixas. "Anstatt die Vergangenheit aufzuklären, will die Regierung sie glorifizieren", so Seixas, der während der Diktatur wegen Mitgliedschaft in einer militanten Gruppe zusammen mit seinem Vater von Militärs entführt wurde. Dieser wurde vor seinen Augen zu Tode gefoltert.

In diesem Jahr waren Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Machtübernahme des Militärs in Brasilien erstmals wieder erlaubt worden. Am 55. Jahrestag des Putsches vom 31. März 1964 haben in Kasernen des Landes Aufmärsche und Feiern mit der Verlesung eines "Tagesbefehls" zum Thema stattgefunden. Zu dem Anlass hatte das Präsidentenamt per Whatsapp ein zweiminütiges Video mit der Botschaft verbreitet, das Militär habe 1964 "seine Aufgabe erfüllt, Brasilien vor der bevorstehenden kommunistischen Revolution zu retten". Bolsonaro hatte in der Vergangenheit immer wieder offen seine Sympathien für die Militärdiktatur geäußert.