Gewalttätiger Angriff auf Umweltaktivistin Francia Márquez in Kolumbien

Täter schießen und werfen Handgranaten. Zwei Sicherheitskräfte verletzt. Ermittlungen dauern an. Internationale Sorge um Sicherheit für Aktivisten wächst

Santander de Quilichao/Bogotá. Die Umweltaktivistin Francia Márquez ist zusammen mit anderen Sprechern von Afro-Organisationen am Samstagabend in Santander de Quilichao brutal angegriffen worden. Márquez und ihre Kollegen blieben dabei unversehrt. Zwei Leibwächter des nationalen Sicherheitspersonals sind laut Augenzeugen allerdings verletzt worden. Sie sind in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Der Vorfall rief international Kritik an der Sicherheitslage für Aktivisten in dem südamerikanischen Land hervor.

Bereits ab Freitag waren die Aktivisten der Afrokolumbianischen Gemeinschaften (Asociación de Consejos Comunitarios del Norte de Cauca, Aconc, und Procesos de Comunidades Negras, PCN) versammelt, um ein Treffen mit der Regierung für den 8. Mai vorzubereiten. Am Samstag haben sie dann plötzlich mehrere bewaffnete Männer zuerst beleidigt und bedroht, dann auf sie geschossen und zwei Granaten geworfen. Alle Aktivisten flüchteten umgehend und es kam zu Schusswechseln mit deren Leibwächtern. Die Art und Weise des Angriffs zeigt laut Márquez, dass die Täter alle vor Ort umbringen wollten. Neben ihr zählten zu den etwa 16 Anwesenden auch das höchste Ratsmitglied von Aconc, Víctor Hugo Moreno, sowie Carlos Rosero, Clemencia Carabali und Sofía Garzón. Den Grund für die Attacke sieht Márquez im Engagement der Aktivisten für die Verteidigung des Lebens, des Territoriums und der Umwelt begründet.

Präsident Iván Duque und das Innenministerium verurteilten den Angriff scharf. Duque äußerte umgehend die Vermutung, Dissidenten der Farc könnten das Attentat verübt haben. Zum vereinbarten Treffen am 8. Mai erschien er nicht, sondern sandte lediglich seine Vizeministerin für Inneres. Márquez hingegen hielt sich mit Verdächtigungen zurück. Dies sei nun Aufgabe der Ermittler. Allerdings hob sie hervor, dass wenige Stunden vor dem Angriff der Kongress dem Bau des Mega-Hafens Tribugá zugestimmt und die Regierung von Duque die umstrittene Fracking-Methode zugelassen hatte. Márquez hatte sich in Kampagnen gegen beide Projekte engagiert.

Die Generalbundesanwaltschaft kündigte gemeinsame Ermittlungen mit der Nationalpolizei an. Bereits am Sonntag ist in Santander de Quilichao ein Sicherheitsrat einberufen worden; unter Beteiligung von Polizei, Militär, der Regierung des Departments, dem Ortsbürgermeister sowie dem Ombudsmann des nationalen Menschenrechtsbüros (Defensoría del Pueblo). Der Sekretär der Regierung von Cauca, Ricardo Cifuentes, erklärte, es gebe Spuren zu den Attentätern. Die Ermittlungen laufen jedoch noch. Gerade die ländliche Gegend um Santander de Quilichao sei regelmäßig Ziel für Angriffe seitens bewaffneter Dissidenten der Farc. Allerdings könne man noch keine konkrete Verbindung dieser illegalen Gruppierung mit dem Attentat nachweisen. 

Wie nach dem Anschlag ebenfalls bekannt wurde, hatte das Menschenrechtsbüro das Innenministerium bereits am 26. April schriftlich über die Gefahren in der Region informiert. Demnach bestehe in der Region ein erhöhtes Risiko für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Mitgliedern von politischen Organisationen, Sozialaktivisten und Menschenrechtsverteidigern. Es hätte Einschüchterungen und Morddrohungen gegeben. Zwölf verschiedene Flugblätter mit Drohungen seien dieses Jahr bereits in Cauca verteilt worden, wie die Behörde mitteilt. Daher ruft sie die Regierung auf, wirksame Maßnahmen zu entwickeln, um den Angriffen und der Verwundbarkeit der Bevölkerung vor Ort zu begegnen.

International wurde das Attentat heftig kritisiert. Das Institut für Menschenrechte der Vereinten Nationen drängt zu einer schnellen Untersuchung des Falls und darauf, die Aktivisten umgehend besser zu schützen. Ähnlich äußert sich die Wahrheitskommission Kolumbiens. Sie sieht in dem Anschlag einen direkten Angriff auf den Wiederaufbau des Zusammenlebens, das Grundrecht des Lebens der Aktivisten sowie den Schutz ihrer Gemeinschaft. Die Kommission ruft die Regierung auf, Aktivisten zu schützen und sich für die Nichtwiederholung des bewaffneten Konflikts in ihren Gebieten einsetzen.

Die Vertreterin der Europäischen Union in Kolumbien, Patricia Llombert, eröffnete am Montag die internationale Buchmesse in Bogotá (Filbo). Auf der Diskussionsveranstaltung "Sozialaktivisten und ihre Vorschläge zum Selbstschutz" erklärte sie ihrer Anteilnahme für die Opfer des Angriffs. Nicht nur diese, sondern alle derartigen Taten verurteilte sie auf das Schärfste. Sie erklärte sich solidarisch mit allen Menschenrechts- und Sozialaktivisten, die sich für Demokratie in Kolumbien einsetzen. Rechte Kreise in Kolumbien bezeichneten diese Menschen fälschlicherweise als Verbündete von illegalen Gruppen. Zudem rief sie zur Teilnahme an der digitalen Kampagne auf dem Kurznachrichtendienst "twitter" mit dem Hashtag #DefendamosLaVida (Wir verteidigen das Leben) auf. Damit wolle sie solchen Angriffen und Vorurteilen etwas entgegensetzen. "Wir hoffen auf ein Kolumbien, in dem eines Tages keine Sicherheitskräfte mehr nötig sind, um Kugeln und Granaten abzuwehren, um das Leben von Menschenrechtsaktivisten zu verteidigen," so Llombert. Der Schutz der Menschenrechte sei auch ein zentrales Thema zwischen der EU und Kolumbien. Seitens der EU wolle man die Gespräche mit der Zivilgesellschaft intensivieren.

Seit 2018 stieg die Zahl der Drohungen gegenüber Sozialaktivisten um 47 Prozent. Zwischen März 2018 und Februar 2019 habe es insgesamt 982 registrierte Drohungen gegeben, so die offiziellen Angaben. 209 Sprecher von Organisationen seien Ziel von gewaltsamen Vorfällen gewesen, wozu Drohungen, Mord und Entführung zählen. Die Vereinten Nationen geben an, dass dieses Jahr bereits 29 führende Sozialaktivisten getötet wurden. Als Reaktion auf die Angriffe kündigte Präsident Duque gestern an, es werde eine neue juristische Institution geben, in der sich Richter speziell mit Gewalttaten gegen Aktivisten auseinandersetzen.

Im vergangenen Jahr wurde Márquez mit dem renommierten Goldman Umweltpreis für ihr Engagement gegen illegalen Bergbau im kolumbianischen La Toma geehrt. Ihr Einsatz gilt aber auch dem Kampf gegen Sexismus, Rassismus und Korruption in La Toma. Trotz des Angriffs signalisiert Márquez, dass sie Cauca nicht verlassen werde und weiterhin für die Umwelt und das Recht auf ein Leben in Frieden kämpfen werde.