Argentinien / Politik

Argentinien: Kontroverse um Prozesseröffnung gegen Cristina Kirchner

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Die "Beweislage" gegen Argentiniens Ex-Präsidentin Kirchner wird immer dünner. Bei Umfragen steigen ihre Beliebtheitswerte
Die "Beweislage" gegen Argentiniens Ex-Präsidentin Kirchner wird immer dünner. Bei Umfragen steigen ihre Beliebtheitswerte

Buenos Aires. Der oberste Gerichtshof (OGH) Argentiniens hatte am Dienstag überraschend die für den 21. Mai vorgesehene Eröffnung des Prozesses "Vialidad Pública" (Straßenbau) ausgesetzt, in dem er die Prozessakten anforderte, um Beschwerden der Verteidigung zu prüfen. Nach massivem Druck der Regierung und der ihr nahestehenden Medien, wurde diese Maßnahme jedoch am Donnerstag relativiert: Der OGH teilte mit, diese Prüfung bedeute nicht, dass der Prozess suspendiert werde.

In dem Verfahren geht es um die angebliche Korruption bei öffentlichen Bauaufträgen in der Provinz Santa Cruz während der Regierungsperioden von Néstor und Cristina Kirchner. Angeklagt sind, neben dem Bauunternehmer Lázaro Báez, die ehemalige Präsidentin und der Planungsminister Julio de Vido sowie weitere Funktionäre.

Die Verteidiger hatten mehrfach ein Eingreifen des OGH verlangt, da sie das Recht auf ein fairen Prozess verletzt sahen. Die von Ihnen gestellten Beweismittelanträge waren zu 80 Prozent vom Gericht zurückgewiesen worden. In den drei Jahren, die die Ermittlungen durch die Staatsanwälte und Untersuchungsrichter Julián Ercolini bereits dauern, hätte man es versäumt entsprechende Untersuchungen anzuordnen.

Die Anklage behauptet, die Aufträge seien überteuert gewesen und die Mehrpreise als Bestechungsgelder zurück an die Beamten geflossen. Es seien auch Arbeiten bezahlt worden, die nie ausgeführt wurden. Ein vor dem Prozess durch Staatssekretär Javier Iguacel beauftragtes Gutachten über alle Bauvorhaben in der Provinz konnte jedoch keinen dieser Vorwürfe belegen.

Eine vergleichende Untersuchung der öffentlichen Aufträge in allen Provinzen wurde vom zuständigen Richter nicht gewährt, weil dessen Erstellung angeblich zu lange dauern würde.

Wie weit die Ansichten auseinandergehen, zeigt ein Detail: Die Anklage spricht von einem Schaden für den Staat von 46 Milliarden Pesos. Die Verteidigung weist jedoch darauf hin, dass laut der Kontrollbehörde des Bauministeriums das Gesamtvolumen der öffentlichen Bauaufträge in der Provinz in diesem Zeitraum lediglich 13 Milliarden Pesos ausmachte. Das angebliche Hauptbeweismittel der Anklage, ein Gutachten, das nun lediglich 5 der 51 in diesem Zeitraum in Santa Cruz ausgeführten Bauvorhaben untersucht, wird voraussichtlich erst im August fertig sein, sodass dessen Inhalt reine Spekulation sei. Die Anklage basiert deshalb hauptsächlich auf Zeugenaussagen. Die wichtigste dabei ist die des Finanzexperten Leonardo Fariña.

Fariña, selber wegen Finanzdelikten angeklagt, ist als "Arrepentido" (reuiger Straftäter) auch der Hauptzeuge in dem parallel laufenden Prozess "Ruta del dinero K“ (Weg des K-Geldes) über die angebliche Geldwäsche, die aus diesen Bestechungsfällen stammen soll. Der Hauptangeklagte ist ebenfalls Lázaro Báez, der seit drei Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Aber auch in diesem Prozess ist die Beweislast sehr dünn. Es konnten weder Zahlungen von Bestechungsgeldern noch verborgene Auslandskonten der beschuldigten Funktionäre gefunden werden. Unternehmer Báez konnte bisher lediglich Steuerhinterziehung nachgewiesen werden. Gegen Ex-Präsidentin Kirchner wurden aus Mangel an Beweisen die Untersuchungen in diesem Prozess eingestellt.

Mitglieder der Regierung Macris, wie der Justizminister German Garavano oder die Antikorruptionsbeauftragte Laura Alonso, zeigten sich empört und verlangten den planmäßigen Beginn der Anhörungen. Garavano warf dem OGH politischen Opportunismus vor und sich von den Umfragewerten leiten zu lassen. Diesen zufolge liegen die Beliebheitswerte Präsident Macris auf ihrem Tiefpunkt seit 2015, während die der Ex-Präsidentin steigen. Aus dem Prozess gegen Kirchner erhofft sich die Regierung eine Entlastung während des Wahlkampfes für die Präsidentenwahl am 10. Oktober dieses Jahres.

Unterdessen bahnt sich ein neuer Skandal an: Aus den Untersuchungen über das Spionagenetzwerk um Marcelo D'Alessio, die derzeit von Bundesrichter Ramos Padilla geführt werden, geht hervor, dass der Hauptbelastungszeuge Fariña, der ursprünglich nur über die Steuergeschichten von Báez aussagen konnte, von Mitgliedern des staatlichen Geheimdienstes AFI mit Informationen versehen und von einer Fachanwältin sogar gecoacht wurde, um glaubhaft über Vergabeverfahren und Bestechungsformen aussagen zu können. Das Ganze wurde bei einem Treffen im Büro des Justizministers Garavano arrangiert, das dieser zuerst bestritt, dann aber eingestehen musste. Die ehemalige Anwältin von Fariña, Giselle Robles, und die Verwaltungsanwältin Florencia Guijo wurden bereits von Richter Ramos Padilla vernommen und stellten Beweismittel zur Verfügung. Fariña selber soll in Kürze dazu seine Aussage machen.