Rücktrittsforderung an Ministerin wegen mehrerer Toter durch Polizeigewalt in Argentinien

Polizisten sollen gezielt Schüsse abgegeben haben. Drei Tote minderjährig. Fälle sogenannter "Gatillo Facil" häufen sich in Regierungsjahren Macris

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Nach dem Tod von vier jungen Menschen in der Provinz Buenos Aires, mutmaßlich durch Polizeigewalt, kam es in der Hauptstadt zu starken Protesten
Nach dem Tod von vier jungen Menschen in der Provinz Buenos Aires, mutmaßlich durch Polizeigewalt, kam es in der Hauptstadt zu starken Protesten

Buenos Aires. Nach dem Tod von drei Jugendlichen und einem jungen Erwachsenen in der vergangenen Woche in der argentinischen Provinz Buenos Aires werden die Forderungen nach einem Rücktritt der Ministerin für öffentliche Sicherheit, Patricia Bullrich, immer lauter. Zudem verfestigt sich, gestützt auf statistische Zahlen, der Eindruck, dass Fälle staatlicher Gewalt mit Todesfolge, als "Gatillo Fácil"(etwa: Leichter Abzug) bezeichnet, unter der Regierung von Präsident Mauricio Macri wieder stark zunehmen. Ende der vergangenen Woche gingen unter dem Motto "Schluss mit den Morden" (Basta de gatillo fácil) Tausende in der Hauptstadt zum Protest auf die Straße.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai waren in der Provinzstadt San Miguel del Monte drei Minderjährige im Alter von 13 und 14 Jahren (zwei Mädchen und ein Junge) sowie ein 22-jähriger Mann unter noch nicht abschließend geklärten Umständen in einem Auto sitzend zu Tode gekommen. Eine Insassin überlebte schwer verletzt. Die erste offizielle Version der Polizei, wonach ein Autounfall Ursache für den Tod war, wird auch von der Staatsanwaltschaft stark angezweifelt. Mittlerweile sind 13 in den Fall verwickelte Personen festgenommen, darunter acht Polizisten.

Untersuchungen haben ergeben, dass im Körper mindestens einer der Toten die Kugel einer Schusswaffe gefunden wurde, wie der Generalstaatsanwalt von La Plata, Héctor Bogliolo, bekanntgab. Zunächst hatte die Polizei selbst erklärt, das Auto hätte einen Unfall "aufgrund sehr hoher Geschwindigkeit nach einer Verkehrskontrolle" gehabt. Nach ersten Ermittlungen scheint nun aber alles darauf hinzudeuten, dass Schüsse auf das Auto abgeben wurden. So soll es Kameraaufnahmen geben, auf denen zu erkennen ist, dass sich ein Polizist aus dem Fenster seines Wagens beugt und mit seiner Dienstwaffe auf das verunfallte Auto schießt. Gleichzeitig gibt es auf verschiedenen Aufnahmen keinerlei Hinweise auf eine vorherige Kontrolle und "mangelnde Kooperation" der Jugendlichen. Damit deutet vieles auf eine gezielte Tötung hin.

Am Montag ordnete das Gericht die Exhumierung einer der Toten an, um weitere Untersuchungen bezüglich potentieller Schusswunden vornehmen zu können. Am Ort des Unfalls wurden mittlerweile vier Patronenhülsen gefunden. Die ersten Untersuchungen seien noch von Angehörigen der Polizeieinheit durchgeführt worden, gegen die nun wegen Mordes ermittelt wird.

Anfang der Woche wurde zudem ein weiterer kürzlich erfolgter Fall bekannt. Nur wenige Stunden vor dem Vorfall in San Miguel del Monte starb ein 30-jähriger Musiker in San Martín. An der Version der Polizei der Provinz Buenos Aires, wonach der Mann nach einem Schusswechsel infolge eines Überfalls auf einen Supermarkt starb, zweifelt allem Anschein nach auch die zuständige Staatsanwältin Gabriela Disnan. Sie ordnete eine zweite Ermittlung gegen zwölf beteiligte Polizisten an, um deren Rolle festzustellen.

In den letzten Tagen haben mehrere Menschenrechtsorganisationen wegen der sich häufenden Fälle, die auf die Verwicklung staatlicher Sicherheitskräfte in Todesfälle hindeuten, einen offenen Brief verfasst, in dem die verantwortliche Ministerin Bullrich zum Rücktritt aufgefordert wird. "Wir stellen fest, dass die Ministerin Praktiken angewandt hat, die den elementarsten Prinzipien der demokratischen Sicherheit widersprechen", so die Unterzeichner. Man fordere den "sofortigen Rücktritt von Patricia Bullrich von ihrem Posten". Sie habe sich wiederholt für Sicherheitskräfte eingesetzt, die in Straftaten verwickelt waren und "missbräuchlich Schusswaffen eingesetzt haben". Auch mehrere Abgeordnete der Partei Frente para la Victoria der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner forderten Ermittlungen gegen Bullrich.

Mit dem Begriff "Gatillo Fucil" werden Morde durch Polizisten und anderen staatlichen Angestellten bezeichnet. In Argentinien kam es nach einem Bericht von Argentiniens Koordination gegen Polizei- und institutionelle Repression (Correpi) seit dem Ende der Militärdiktatur 1983 zu über fünftausend solcher Fälle. Unter anderem sind während der schweren Staatskrise 2001 viele Menschen, die an Protesten gegen die Regierung teilgenommen hatten, auf diese Weise getötet worden.

In den ersten beiden Regierungsjahren Macris waren laut Correpi bereits mindestens 725 Personen durch den Staat verursachte Todesfälle gezählt worden. Das entsprach zu dem Zeitpunkt etwa einem Toten alle 23 Stunden. Das Jahr 2016, das erste Regierungsjahr Macris, war seit dem Ende der Militärdiktatur 1983 das Jahr mit den mit Abstand meisten durch Staatsgewalt verursachten Toten, so der Correpi-Bericht.