Brasilien / Politik

Nach Intercept-Leaks in Brasilien: Ringen um Lulas Freiheit

Gericht verschiebt Prozess um Lulas Freilassung. Generalstaatsanwältin hält Leaks für nicht stichhaltig. Zeitung Folha bestätigt Authentizität. Forderung nach Moros Rücktritt

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Einer braucht(e) den anderen. Der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro und sein Justizminister Sérgio Moro während einer Ehrung Anfang Mai 2019 in Brasília
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Einer braucht(e) den anderen. Der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro und sein Justizminister Sérgio Moro während einer Ehrung Anfang Mai 2019 in Brasília .

Brasília. Der inhaftierte Ex-Präsident von Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva, muss weiter auf eine Verhandlung über seine Freilassung warten. In der Nacht auf Dienstag hat das Oberste Bundesgericht (STF) die Abstimmung über den Antrag seiner Verteidigung kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen. Frühestens ab September soll verhandelt werden, berichten lokale Medien. Solange bleibt Lula in Haft.

Einer der fünf zuständigen Kammerrichter, Gilmar Mendes, hatte sich mehr Bedenkzeit für seine Entscheidung erbeten, nachdem Anfang Juni bekannt geworden war, dass sich der damalige Richter und heutige Justizminister, Sérgio Moro, sowie der Chefankläger, Deltan Dallagnol, in der Prozessführung gegen Lula abgesprochen und Moro die Anklage angeleitet hatte, um eine Verurteilung zu gewährleisten.

Das Investigativ-Portal The Intercept hatte am 8. Juni begonnen, zahlreiche Chat-Nachrichten des Messenger-Dienstes "Telegram" zwischen dem früheren Lava Jato-Richter Moro und der Staatsanwaltschaft zu enthüllen. Moro hatte Lula im Juli 2017 wegen Korruption zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Im April 2018 wurde der Politiker von der Arbeiterpartei PT verhaftet. National und international ist die Verurteilung Lulas immer wieder als politisches Manöver bezeichnet worden, um die Wahl des ultrarechten Jair Bolsonaro zum Präsidenten zu ermöglichen.

Nachdem Moro im November 2018 bekannt gab, dem Kabinett Bolsonaros beizutreten, stellte Lulas Verteidigung gegen den Ex-Richter einen Befangenheitsantrag. Darin verweist sie auf mehrere Prozessverstöße, die im Nachhinein als offensichtlich "politisch motiviert" zu werten seien. Die nun veröffentlichten Absprachen sind demnach nicht Teil des Antrags, auch wenn diese weitere Belege für die Parteilichkeit Moros darstellten, so Anwalt Cristiano Zanin vergangenen Freitag.

Der Ausgang des Prozesses im kommenden Herbst ist ungewiss. Zudem werden die Richter berücksichtigen, dass ihr Urteil Auswirkungen auf alle anderen von Moro verhängten Urteile hat. Sollte Lula Recht erhalten, steht der Justiz eine Lawine von Befangenheitsanträgen in anderen Verfahren der Korruptionsaufarbeitung Lava Jato bevor.

Zwei der fünf Richter der zuständigen 2. Kammer des STF haben den Antrag bereits abgelehnt – vor Bekanntwerden der Enthüllungen. Wiederum stehen noch die Stimmen der Richter Gilmar Mendes und Ricardo Lewandowski aus. Diese gehören einem Flügel des Bundesgerichtes an, der die rigiden und auf öffentliche Wirkung bedachten Methoden der Lava Jato seit Längerem kritisiert. Es sei nicht überraschend, wenn sie gegen Moro stimmen, schreibt der Nachrichtendienst UOL.

Mendes vertrat zuletzt den Standpunkt, dass die Leaks, sollten sie authentisch sein, eine Befangenheit Moros belegten und damit das Urteil gegen Lula annullierten. Die Absprachen stellen für ihn einen Strafbestand dar, so der Richter. Der fünfte Richter, Celso de Mello, hatte bereits 2013 ein Urteil Moros kassiert, weil er dessen Vorgehen in einem anderen Fall für parteiisch gehalten hatte.

Die Zeit spielt also für Lula und gegen Moro. Intercept-Herausgeber Glenn Greenwald sagte letzte Woche "das wichtigste und explosivste Material [über Moro und Dallagnol] wurde noch gar nicht veröffentlicht". Demnach ist es wahrscheinlich, dass weitere Informationen letzte Zweifel an der Parteilichkeit und dem ideologisch motivierten Handeln von Richter und Staatsanwaltschaft ausräumen könnten. Verfassungsrechtler sind sich sicher, dass die Audio-Dateien und Textnachrichten vor Gericht im Sinne des Angeklagten eingesetzt werden, auch wenn sie "kriminellen Ursprungs" sind.

Anders sieht das Generalstaatsanwältin Raquel Dodge. Dodge hatte sich im Vorfeld der für gestern angedachten Verhandlung im Fall Lula gegen dessen Freilassung ausgesprochen. In einer Stellungnahme für das STF forderte sie, dass zuerst die Authentizität der Dialoge bewiesen werden müsse. Die Umstände seien "durch einen hohen Grad von Ungewissheit" geprägt, was verbiete, die Leaks als Belege für Moros Befangenheit zu werten.

Dabei leugnen weder Moro noch Dallgnol den Inhalt der enthüllten Nachrichten. Mittlerweile hat auch die bürgerliche Zeitung Folha de São Paulo die Authentizität der Chats weitgehend bestätigt. "Unsere Reporter haben [im Chat-Material] nach Journalisten der Folha gesucht, die in den letzten Jahren mit Mitgliedern der Taskforce Lava Jato Nachrichten getauscht hatten und diese gefunden", berichtet die Folha. Die Analyse habe keine Manipulation des Materials feststellen können. Zuvor hatte The Intercept der Folha das komplette Material zur Verfügung gestellt, um dieses im Rahmen einer Kooperation gemeinsam auszuwerten.

Nun erhöhen auch Parlamentarier den Druck auf den Justizminister. Indirekt forderte Senatspräsident, Senator Davi Alcolumbre von der rechtskonservativen Partei DEM, dessen Rücktritt. Sollten die veröffentlichten Nachrichten der Wahrheit entsprechen, "hat [Moro] die ethische Grenze überschritten. Das wird große Auswirkungen auf das Regierungsgeschäft haben. Wäre er Politiker, wäre er des Amtes enthoben oder sogar in Haft", so Alcolumbre gegenüber der Zeitung O Estado de S. Paulo.

Währenddessen beantragte eine Gruppe von 30 Bundesrichtern beim Bundesrichterverband (Associação dos Juízes Federais do Brasil, Ajufe) Moro aus dem Verband auszuschließen. Die geleakten Nachrichten zeigen ein Verhalten, das "konträr zu den ethischen Prinzipien der Ajufe und juristischen Regeln" stehe, heißt es in der Erklärung.

Staatsoberhaupt Bolsonaro hält indes nach wie vor an Moro, dem"nationalen Helden der Korruptionsbekämpfung", fest.