Studierende in Kolumbien fordern Ende der Korruption und der Polizeigewalt

Korruptionsskandal an der Universidad Distrital. Studierende fordern Rücktritt der Führungsebene. Polizei lässt Protest eskalieren

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Studierende in Bogotá protestieren  gegen Korruption und gegen das Vorgehen der Aufstandsbekämpfungseinheit Esmad
Studierende in Bogotá protestieren gegen Korruption und gegen das Vorgehen der Aufstandsbekämpfungseinheit Esmad

Bogotá. Fast 5.000 Studierende privater und öffentlicher Universitäten der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá haben am Freitag friedlich gegen Korruption demonstriert. Die Forderungen erweiterten sich um den Abbau des Sondereinsatzkommandos der Polizei "Escuadrón Móvil Antidisturbios de Policía" (Esmad), nachdem dieses mit Gewalt auf sich solidarisierende Studierende der Pontificia Universidad Javeriana reagiert hatte.

Ein sich zunehmend ausweitender Korruptionsskandal an der staatlichen Universidad Distrital löste die Proteste Anfang der Woche aus. Ende August beschuldigte der Rektor der Universität den Dozenten und ehemaligen Direktor des "Instituts für Fortbildung und Bildung für die Arbeit und menschliche Entwicklung", Wílman Muñoz,  umgerechnet etwa drei Millionen US-Dollar aus dem Haushalt veruntreut zu haben. Daraufhin leitete die Generalstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Muñoz wird beschuldigt, mit einer auf den Namen der Universität laufenden Kreditkarte zwischen Juli 2012 und Januar 2019 private Flugreisen, Abendessen und Hotelübernachtungen sowie einen Mercedes-Benz, Schmuck und auch die monatliche Netflix Rechnung gezahlt zu haben. Der Skandal reiht sich in eine ohnehin finanziell prekäre Situation der öffentlichen Universitäten ein.

In seiner Aussage vor der Generalstaatsanwaltschaft beschuldigt Muñoz nun den Rektor Ricardo García, selbst in die Affäre verwickelt gewesen zu sein. Er sagte aus, er habe Geburtstage sowie sexuelle Dienstleistungen für García mit dem gestohlenen Geld bezahlt. Außerdem habe dieser Stimmen gekauft, um als Rektor ernannt zu werden.Dieser wiederum bestreitet die Vorwürfe: "Keine der Aussagen ist richtig. Sie sind grotesk und verleumderisch". Es sei schwer, so der Rektor, eine Person zu finden, die so schamlos lüge.

Als Reaktion auf die Vorgänge protestierten am Montag und Dienstag etwa 200 Studierende vor der Institution in der Carrera Septima. Julian Báez, Vertreter des Studierendenrats, sagte am Rande Kundgebung gegenüber Amerika21: "Wir fordern die Aufklärung der Korruptionsfälle und den Rücktritt der betroffenen Personen." Nachdem einige Vermummte in das Gebäude vorgedrungen waren und sich Studierende der Pontificia Universidad Javeriana auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit Sprechchören solidarisch gezeigt hatten, eskalierte die Situation. Die Spezialeinheit Esmad fuhr mit einem Wasserwerfer vor, verletzte die gesetzlich zugesicherte Autonomie der Universitäten und drang in das Gelände der Javeriana ein. Dort feuerte sie Tränengas und Rauchbomben ab. Das Gas drang bis in den Eingang des Krankenhauses San Ignacio vor.

Die Vorfälle sind in dieser Form ein Novum: Weder war die Esmad zuvor in privates Universitätsgelände eingedrungen, noch hatte die Elite-Universität Javeriana sich so deutlich solidarisch mit der Universidad Distrital gezeigt.

Das Rektorat der Javeriana setzte den Unterricht bis Freitag aus. In einer Bekanntmachung verurteilte es "die Gewalt von allen Seiten". Eine weitere zunächst friedliche Kundgebung endete am Mittwoch jedoch abermals in der gewaltvollen Auseinandersetzung mit der Polizei. In einem offenen Brief wandte sich Miguel Hernández Franco kritisch an den Rektor: "Sie nennen in Ihrer Stellungahme die Esmad nicht beim Namen. Und sie beschreiben die Gewalt als schwebe sie im luftleeren Raum, ohne konkrete Verantwortliche." Indirekt würden damit die Sprechchöre der Studierenden mit der Gewalt der Spezialeinheit gleichgesetzt. Die Esmad allerdings habe das Feuer auf unbewaffnete Studierende eröffnet.

Auch in der Universidad Pedagógica (UPN) hat die Esmad am Mittwoch Studenten, die sich mit den betroffenen Universitäten solidarisiert haben, mit massiver Gewalt attackiert. Die "brutale Aktion" hat zu vier verletzten Studenten und einem schwer verletzter Mitarbeiter der UPN- Dozentengewerkschaft (Aspu-UPN) geführt. Dies geht aus einem Kommuniqué dieses Gremiums vor, das Amerika21 vorliegt. Für die Aspu-UPN ist klar, dass die Verletzungen ihres Mitarbeiters durch einen berstenden Gegenstand verursacht wurden, den Polizisten von draußen in den Campus hineingeworfen hatten.

Am Donnerstag gingen auch die Studenten der Universidad Nacional auf der Straße.

In einem über Whatsapp verbreiteten Aufruf unter den Hashtags #DesmonteDelEsmad (Abschaffung der Esmad) und #SolidaridadEntreUniversidades wurde für Freitag schließlich zur Großkundgebung aufgerufen. In einer zweiten Stellungnahme rief die Leitung der Javeriana zur Reflexion auf und erklärte die Teilnahme an den Demonstrationen zur Verantwortung eines jeden Einzelnen.

Dem friedlichen Demonstrationszug schlossen sich am Freitag nach und nach Studierende von zwölf Universitäten an. Zeitweilig waren die Hauptverkehrsadern der Stadt lahmgelegt. Der Akt studentischer Solidarität wurde indes von Angriffen Vermummter auf das Gebäude des Icetex (Institut für Bildungskredite und technische Studiengänge im Ausland) im Zentrum der Stadt überschattet. Diese dominierten am frühen Abend dann auch die mediale Berichterstattung. Unter Studierenden wurde die Theorie laut, dass es sich um Provokateure handeln könnte, die von der Esmad eingeschleust wurden, um deren drastisches Durchgreifen zu rechtfertigen.