Aufstand gegen Regierung Moïse in Haiti fordert 17 Tote und 189 Verletzte

Massive Proteste seit Wochen. Menschenrechtsorganisation mit alarmierenden Zahlen. Unruhen sind auch Folge der Krise in Venezuela

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Bis zum Sturz der Regierung: Demonstrant in Haiti
Bis zum Sturz der Regierung: Demonstrant in Haiti

Port-au-Prince. Bei heftigen sozialen Protesten in Haiti sind seit Mitte September mindestens 17 Menschen getötet und 189 verletzt worden. Diese Zahlen gab das Nationale Netzwerk zur Verteidigung der Menschenrechte (RNDDH) am Donnerstag bekannt. Unter den Toten befinden sich demnach auch zwei Minderjährige.

Aus dem Bericht des RNDDH geht hervor, dass ein Demonstrant unter bisher nicht geklärten Umständen erstickte, ein Student wurde von einem Fahrzeug in der Nähe einer Barrikade in der Stadt Saint Marc von einem Fahrzeug überrollt. Die meisten der Todesfälle wurden im Norden des Landes registriert. Dort zählte die Nichtregierungsorganisation neun Tote und 46 Verletzte, während im Westen Haitis, wo sich die Hauptstadt Port-au-Prince befindet, drei Menschen starben und 85 verletzt wurden.

Von den 189 Verletzten wiesen 117 Schusswunden auf, darunter zwei Journalisten. Bei ihnen handelt es sich um den Fotografen der Nachrichtenagentur Associated Press, Chery Dieu-Nalio, der am 23. September von einem Senator vor dem Parlament angeschossen wurde, und den Kameramann Edmond Joseph Agenor, der letzte Woche bei einer Demonstration verletzt wurde. Dieu-Nalio wurde später in die Dominikanische Republik gebracht, damit Ärzte ihm Splitter einer Pistolenkugel aus dem Kinn entfernen.

Seit Wochen protestieren die Haitianer in Massen für einen Rücktritt von Präsident Jovenel Moïse. Die Mehrheit der Demonstranten in Port-au-Prince stammt aus dem bevölkerungsreichen Slum Cité-Soleil. Dort sind grundlegende soziale Dienstleistungen wie das Bildungs- und Gesundheitswesen weitgehend zusammengebrochen, es gibt kaum Arbeit. Reporter der spanischen Nachrichtenagentur EFE berichteten, dass mehrere Menschen verletzt wurden, als die Polizei gegen Demonstranten aus dem Cité-Soleil vorging, um sie daran zu hindern, den Champ de Mars in der Nähe des Nationalpalastes zu erreichen.

"Die Mobilisierung wird weitergehen; jeder muss die Entscheidung der Menschen respektieren, die den Rücktritt von Jovenel Moïse fordern. Die internationale Gemeinschaft muss dem Volk zur Seite stehen", sagte André Michel, Anführer des Secteur Democratique et Populaire National, einer der Oppositionsorganisationen, auf einer Pressekonferenz.

Bereits am Freitag der vergangenen Woche waren tausende Menschen zum Büro der Vereinten Nationen in Port-au-Prince marschiert. Im weiteren Wochenverlauf waren in der Hauptstadt weniger Barrikaden zu sehen, aber die Geschäftstätigkeit blieb gering, die Schulen geschlossen und der öffentliche Verkehr kam in einigen Stadtteilen nur zögerlich wieder in Gang.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen baten Moïse, "eine historische Entscheidung zu treffen, um eine Verschärfung der politischen Krise zu vermeiden". Der amtierende Präsident habe seit den gewaltsamen Unruhen im Juli letzten Jahres die Kontrolle über das Land verloren, müsse also zurücktreten.

Haiti sei nach der gängigen internationalen Definition ein gescheiterter Staat, hieß es seitens der Menschenrechtsorganisationen. Regierung und Verwaltung seien unfähig, die Lage in den Griff zu bekommen, die innere Ordnung aufrechtzuerhalten, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und internationale Verpflichtungen einzuhalten.

Trotz der massiven Proteste versucht die Regierung, den Anschein von Normalität zu wahren. Präsident Moïse ernannte neue Minister, Generaldirektoren und Staatssekretäre. Nach Angaben haitianischer Medien leitete Moïse zuletzt am Montag telefonisch den Vorsitz eines Ministerrates.

Ebenfalls zu Beginn dieser Woche traf laut diplomatischen und oppositionellen Quellen die so genannte Core Group aus UNO und Diplomaten mehrerer Ländern mit haitianischen Oppositionellen zusammen. Oppositionsführer Edmonde Supplice Beauzile sagte, man habe im Zuge dieses Treffens zur Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung aufgerufen. Dies beinhalte die Forderung nach einem Rücktritt Moïses.

Die ohnehin schwere wirtschaftliche und politische Krise in Haiti wurde Ende August durch Treibstoffmangel an den Tankstellen verschärft. Dieser Mangel ist unter anderem auf fehlende Rücklagen der Importeure und die finanziellen Probleme der Regierung zurückzuführen, um den Kauf von Kraftstoff auf dem Markt zu subventionieren. Die Treibstoffkrise in Haiti ist zugleich eine Folge der Krise in Venezuela, das dem verarmten Karibikstaat im Rahmen des regionalpolitischen Entwicklungsprogramm Petrocaribe über Jahre hinweg günstiges Erdöl geliefert hat. Zuletzt war Venezuelas staatlicher Erdölkonzern PdVSA dazu nicht mehr in der Lage.