Regierung von Ecuador flieht aus Hauptstadt – heute wird die Lage eskalieren

Staatschef Moreno setzt sich nach Guayaquil ab. Demonstranten stürmen Parlament. Armee geht gegen Medien vor. Streit um neoliberale Politik

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In Puyo, der Hauptstadt der Provinz Pastaza, kam es nach Zeugenaussagen zu Schusswaffengebrauch gegen Demonstranten
In Puyo, der Hauptstadt der Provinz Pastaza, kam es nach Zeugenaussagen zu Schusswaffengebrauch gegen Demonstranten

Quito. Ecuadors Präsident Lenín Moreno hat die Hauptstadt Quito am Montagabend angesichts massiver Proteste gegen ein Anfang des Monats in Kraft getretenes Paket neoliberaler Wirtschaftsmaßnahmen verlassen. Er kündigte an, die Regierungsgeschäfte gemeinsam mit seinem Kabinett von der Stadt Guayaquil, rund 421 Kilometer südwestlich von Quito, fortzuführen. Nach Informationen von amerika21 von vor Ort wurde der unabhängige Radiosender Pichincha Universal von der Polizei eingenommen, gegen Sendeleiter Washington Yépez sei Haftbefehl erlassen worden. Demonstranten stürmten zeitweise das Parlament in Quito.

"Ich habe den Regierungssitz gemäß meiner verfassungsmäßigen Befugnisse nach Guayaquil verlegt", sagte das Staatsoberhaupt in einer Fernsehnachricht. Moreno trat darin gemeinsam mit ranghohen Militärs und dem Vizepräsident Otto Sonnenholzner auf.

Moreno zeigte sich in seiner knapp vierminütigen Ansprache davon überzeugt, dass die massiven Proteste "kein Ausdruck von Unzufriedenheit" seien. "Plünderungen, Vandalismus und Gewalt deuten auf einen Versuch hin, die demokratische Ordnung zu zerstören", sagte er. Seit dem 3. Oktober erlebt das südamerikanische Land massive Protest, die bisher mindestens zwei Todesopfer gefordert haben.

Der neoliberale Staatschef hatte Anfang des Monats eine Reihe von Maßnahmen zur "Reaktivierung der Wirtschaft" angekündigt, darunter den sofortigen und umfassenden Wegfall von Treibstoffsubventionen und die Kürzung der Lohnzahlungen für öffentliche Angestellte.

Die Abschaffung der Treibstoffsubventionen, die vor allem arme Bevölkerungsteile und Pendler treffen, bezeichnete Moreno als eine historische Entscheidung. So würde Schmugglern ein Milliardengeschäft genommen, dies sei ein erster Schritt hin zu einer soliden Wirtschaft, sagte der Präsident, der die Maßnahmen gegen ein Milliardenkredit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abgestimmt hatte.

Die ecuadorianischen Behörden bestätigten am Montag die Blockaden von 71 Straßen, viele davon Überlandstraßen. "Demonstranten haben die Durchfahrt verschiedener Verkehrsadern des Landes blockiert", bestätigte die staatliche Tageszeitung El Telégrafo. Am Dienstag sagte Jaime Vargas, Präsident des einflussreichen Indigenendachverbandes Conaie, er erwarte vor einem Generalstreik am heutigen Mittwoch zehntausende Menschen in der Hauptstadt Quito.

Vargas bekräftigte, es werde keinen Dialog mit der Regierung geben, bis der Erlass 883 zur Abschaffung der Kraftstoffsubvention aufgehoben wird. Die Vereinigte Front der Arbeiter (FUT), Conaie, die Gewerkschaftsallianz Volksfront (Alianza Popular), die Nationale Union der Erzieher und andere Organisationen haben indes bekräftigt, die Mobilisierungen aufrechtzuerhalten, bis die Regierung die Treibstoffsubvention wieder einführt und auch die übrigen neoliberalen Maßnahmen zurücknimmt.

Moreno bezeichnete die Proteste als einen Versuch, seine Regierung zu stürzen und die verfassungsmäßige Ordnung im Land von außen zu zerstören. "Was wir derzeit in Ecuador erleben, ist kein sozialer Protest oder ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit einer Regierungsentscheidung", so Moreno. Plünderungen und Vandalismus zeigten, dass es einen "organisierten politischen Versuch gibt, die Regierung zu destabilisieren". Zugleich beschuldigte Moreno den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa (2007-2017), gemeinsam mit der linksgerichteten Regierung von Venezuela eine Verschwörung organisiert zu haben. "Der Tyrann Maduro hat gemeinsam mit Correa seinen Destabilisierungsplan in Gang gesetzt", sagte er.

Correa trat diesen Vorwürfen von seinem belgischen Exil aus entschieden entgegen. Sein Nachfolger verstricke sich zunehmend in Widersprüche, sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters: "Sie sagen, ich sei so mächtig, dass ich von Brüssel aus mit einem Smartphone Demonstrationen leiten könnte". Tatsächlich könnten die Menschen in Ecuador die Realität nicht mehr ertragen. Die Regierung selbst habe die Krise verursacht. "Und was haben sie getan? Die Steuereinnahmen wurden gesenkt, die Ausgaben wurden unnötig erhöht – und schließlich wurde die Sozialversicherung geschleift", sagte er unter Bezugnahme auf die vom IWF unterstützten Sparmaßnahmen.

Moreno war 2017 für die linksgerichtete Regierungspartei Alianza País gewählt worden. Nach seiner Wahl hatte er von der Politik der Correa-Regierung, die das Land über zehn Jahre hinweg in einer für Ecuador unüblichen politischen Stabilität geführt hat, abrupt Abstand genommen und mit vormaligen politischen Gegnern paktiert. Correa, der im belgischen Exil lebt, hat Moreno seither mehrfach heftig kritisiert. Im Internet kursiert ein Video, in dem er auf die Melodie eines bekannten italienischen Partisanenliedes singt: "Ecuadorianer, geht auf die Straße und rette Dein Land. Lenín ciao, Lenín ciao, Lenín ciao, ciao, ciao."

Für den heutigen MIttwoch ist ein Generalstreik anberaumt. Die Lage in Ecuador könnte angesichts der Proteste und der massiven Militarisierung eskalieren.