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Illegales Überwachungssystem des Militärs in Kolumbien aufgedeckt

Whistleblower des Militärs packen aus. Observiert wurden hochrangige Personen aus Justiz und Politik. Verwicklung von Ex-Präsident Uribe vermutet

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Die illegalen Überwachungen seien Teil des antidemokratischen politischen Projekts der Regierung, sagen Oppositionelle
Die illegalen Überwachungen seien Teil des antidemokratischen politischen Projekts der Regierung, sagen Oppositionelle

Bogotá. Für große Empörung hat in Kolumbien die jüngste Enthüllung der Zeitschrift Semana gesorgt, laut der das Militär unter der aktuellen Regierung von Präsident Iván Duque einen geheimen und rechtswidrigen Überwachungsapparat aufgestellt hat. Whistleblower des militärischen Geheimdienstes haben preisgegeben, dass die Zielpersonen der Spionage Journalisten, hohe Richter des Obersten Gerichtshofs und Politiker der Opposition sind. Es gab keine richterliche Verfügung für die Überwachungen und einen Teil der Informationen mussten militärische Geheimagenten einem Politiker der ultrarechten Regierungspartei Centro Democrático aushändigen. Seinen Namen hat Semana noch nicht bekannt gegeben.

In die Spionageaffäre ist General Nicacio Martínez verwickelt, bis vor kurzem Oberkommandierender der Armee. Er soll zwei Mobilfunküberwachungsgeräte mit dem Namen Stingray jeweils einem aktiven Militär und einem pensionierten Offizier zugeteilt haben. Die Whistleblower wissen nicht, wer damit ausspioniert wurde. Alle Informationen dazu wurden gelöscht. Sicher ist nur, dass es illegal ist, einen Überwachungsauftrag an einen nicht im Dienst befindlichen Offizier zu erteilen. Martínez war im Dezember nach einem Jahr Dienst überraschend zurückgetreten. Er war von Oppositionellen und Menschenrechtlern stark kritisiert worden, weil seine Anweisungen in der Armee die Tür zu illegalen Hinrichtungen von Zivilisten wieder geöffnet hatten. Duque hatte sich aber stets geweigert, Martínez abzusetzen.

Die Operationszentren der illegalen Geheimspionage – intern als "Sonderarbeit" bezeichnet – funktionieren in militärischen Einrichtungen mit Personal des Nachrichtendienstes und des Nachrichtenabwehrdienstes. Offiziere des nachrichtdienstlichen Bataillons für den Cyberraum (Bacib) erzählten Semana, sie hätten E-Mail-Accounts und Telefonnummern zugeteilt bekommen, die sie ohne vorliegende richterliche Verfügung ausspionieren und abhören sollten.

In einem Fall ging es um die hohe Richterin des Obersten Gerichtshofs Cristina Lombana. Sie war bis Mai die zugeteilte Richterin eines laufenden Strafprozesses gegen den ultrarechten Ex-Präsidenten und Mentor von Präsident Duque, Álvaro Uribe. Sie sei allerdings nicht die einzige überwachte Richterin, versicherte ein Offizier gegenüber Semana. Anfang der Woche wurde außerdem ein Abhörmikrofon im Büro des aktuell zuständigen Richters für den Fall Uribe und noch ein zweites im Büro des stellvertretenden Richters aufgefunden.

Aus Sicherheitsgründen deckte Semana nicht alle Namen der Zielpersonen der Spionageaffäre auf. Neben Lombana erwähnte die Zeitschrift den Senator Roy Barreras und den linken Ex-Gouverneur vom Departamento Nariño, Camilo Romero. Barreras hatte im November für den Rücktritt des Verteidigungsministers Guillermo Botero gesorgt, indem er eine geheim gehaltene Bombardierung der Luftwaffe im Hinterland anprangerte, bei der 18 Minderjährige getötet worden waren. Die Liste der Überwachten ist jedoch länger. Die Ziele der illegalen Observierungen hatten einen klaren politischen Charakter, "was mit unseren eigentlichen Funktionen nichts zu tun hat", klagte ein Whistleblower gegenüber der Zeitung.

Das Militär kaufte einer spanischen Firma eine hoch entwickelte Spionagesoftware namens "Hombre Invisible" (Unsichtbarer Mann) für umgerechnet circa 850 Millionen Euro ab. Durch Malware verschafft sich das System Zugang zu allen Whatsapp- und Telegram-Chats sowie zu alle Sorten von gespeicherten Informationen in dem infizierten Kommunikationsgerät. Ein US-amerikanischer Geheimagent, der in Kolumbien seit zwei Jahren stationiert ist, erzählte Semana, dass US-Geheimdienste das kolumbianische Militär mit technischer Überwachungsausrüstung und Geld unterstützen. Allerdings habe der militärische Nachrichtendienst und -abwehrdienst in letzter Zeit ungewöhnlich hohe Summen mit dubiosen Rechtfertigungen beantragt.

Gegen Mitte Dezember hat der Oberste Gerichtshof eines der Operationszentren der Geheimüberwachung durchsucht und dabei USB-Sticks, Handys und PCs beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft, auf der Korruptionsaffären lasten, startete eine Ermittlung. Viele Beweise sind jedoch vorher zerstört worden, weil der militärische Nachrichtenabwehrdienst über die bevorstehende Durchsuchung Bescheid wusste.

Auch Duque wurde darüber unterrichtet, wie Semana von hochrangigen Whistleblowern erfuhr. Er bat alle Kommandeure der nachrichtdienstlichen Militärbrigaden einen Fragenbogen zu unterschreiben, in dem sie bekunden mussten, ob sie von illegalen Überwachungsoperationen gewusst haben. Alle sollen dies verneint haben.

Nachdem der Beitrag von Semana veröffentlicht war, lehnte Duque die illegalen Aktionen des Militärs ab, versicherte jedoch, es handelte sich um "faule Äpfel". Oppositionelle haben diese Aussage stark kritisiert. Die illegalen Überwachungen seien nicht ein Problem von "faulen Äpfeln", sondern Teil eines antidemokratischen politischen Projekts, das die Regierung vorantreibt, postete etwa der linke Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro im Kurznachrichtendienst Twitter. Wie andere Politiker wies er darauf hin, dass Kolumbien das gleiche Spionageschema unter dem ehemaligen Präsidenten Uribe (2002-2010) erlebt hatte. Damals wie heute wurden Widersacher der Regierung und Beteiligte an Strafprozessen gegen Uribe überwacht und eingeschüchtert.

Semana berichtete außerdem, dass auch ihre Journalisten sowie der Chefredakteur während der Recherchen massiv überwacht wurden und Todesdrohungen erhielten. Nicht anders geht es den militärischen Whistleblowern.