Vier Gründe für die neuen Proteste in Kolumbien

Demos gegen Gewalt und Verfolgungen durch Geheimdienste. Progressive Bürgermeister ringen um Einsatz von Sondereinheit Esmad. Paramilitärs drohen

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Die Proteste in dieser Woche wandten sich vor allem gegen die Verschärfung der Überwachung und Repression
Die Proteste in dieser Woche wandten sich vor allem gegen die Verschärfung der Überwachung und Repression

Bogotá. Nach der Welle von Massendemos gegen die Regierung von Präsident Iván Duque Ende November und im Dezember haben in Kolumbien Zehntausende Menschen nun an neuen Protesten teilgenommen. Es gab 120 Kundgebungen und "Cacerolazos" sowie 41 Demonstrationen in rund 100 Landkreisen des südamerikanischen Landes. Die Protestbewegung richtet sich gegen die neoliberale Politik Duques. Die neuen Demonstrationen wenden sich jedoch auch gegen vier grundsätzliche Probleme staatlicher Repression:

  • ein unlängst aufgedecktes illegales Überwachungssystem des Militärs;
  • die Ermordung von statistisch einem Aktivisten pro Tag;
  • die illegalen Hinrichtungen von Zivilisten und
  • die Brutalität der Aufstandsbekämpfungseinheit der Polizei (Esmad).

Die sozialen Bewegungen sehen eine Verschärfung der Überwachung und der Repression, wie sie Kolumbien in Zeiten des ultrarechen Präsidenten Álvaro Uribe (2002-2010) erlebt hat. Dazu zählt die Zunahme von Mordankündigungen gegen Oppositionelle. Kurz vor dem ersten Protesttag des Jahres kursierte eine Todesdrohung der paramilitärischen Todesschwadron „Águilas Negras“ (Schwarze Adler) gegen "Linke, die ihre Gemeinden gegen die Regierung indoktrinieren". Sie warnen die Protestierenden: "Unser Befehl ist, zu töten, zerstückeln, verschwinden zu lassen, zu foltern, massakrieren und vergewaltigen." In der langen Liste der Bedrohten finden sich die Namen des linken Senators Gustavo Petro, der neue Bürgermeisterin von Bogotá Claudia López von der grünen Partei und des Enthüllungsjournalisten Daniel Coronell.

Neu war bei der Mobilisierung am Dienstag, dass sie in Bogotá, Medellín und Cali mit neu gewählten progressiven Bürgermeistern stattfand. Sie hatten ihre Ämter erst am 1. Januar angetreten. Alle drei hatten verkündet, den Einsatz der Esmad-Einheiten auf ein Minimum zurückzuschrauben. Gegner der Protestbewegung machten deshalb in den Medien vor allem gegen Claudia López und Daniel Quintero, Bürgermeister von Medellín, mobil und forderten ihren sofortigen Rücktritt.

In Bogotá hatte López die friedlichen Demos gegen Duque offen befürwortet und durch den Einsatz von Ordnern auf Deeskalation gesetzt. Ziel sei, den Einsatz der Polizei und der Esmad als letztes Mittel zu nutzen, wenn zum Beispiel Demonstranten von genehmigten Demo-Routen abweichen oder das umstrittene Metrobussystem Transmilenio angreifen. Am Ende des Tages sagte López, es habe acht Verletzte und drei Festnahmen gegeben. Bilder von Angriffen der Esmad-Einheiten auf Zivilisten habe es diesmal nicht gegeben, sagte sie weiter. Die Deeskalationsstrategie sei in den meisten Gebieten der Stadt erfolgreich gewesen, nur an drei Orten hätten "Vandalen" den Einsatz der Esmad erzwungen. Die Bürgermeisterin bedankte sich bei der Polizei für die gute Arbeit. Die friedlichen Demos seien durch eingeschleuste Gewalttätige unterlaufen worden.

Menschenrechtler und Oppositionelle stimmten mit dieser Einschätzung nicht uneingeschränkt überein. Laut dem Menschenrechtsnetzwerk "Defender la libertad" (Die Freiheit verteidigen) gab es 89 Festnahmen in Bogotá, sechs von ihnen erwartet ein Strafverfahren, und zwölf Verletzte. Demonstranten posteten auf Twitter Bilder von blutenden Jugendlichen nach Übergriffen der Esmad. Auch Videos belegen, wie ein halbes Dutzend Polizisten einen einzigen Demonstranten brutal auf den Kopf oder auf friedliche Passanten einprügelten. Die Polizei hätte außerdem große Gruppen von Studenten und Jugendliche willkürlich festgenommen, klagte die Vertreterin der Bewegung Colombia Humana (Menschliches Kolumbien), Heidy Sánchez.

Der Ex-Kandidat für das Bürgermeisteramt Hollman Morris lobte den Vorsatz, Konflikte mit Demonstranten anhand des Dialogs lösen zu wollen. Dies habe allerdings nur teilweise funktioniert. Die Polizei habe in mehreren Fällen nicht auf López gehört. Auch Menschenrechtler und Ex-Parlamentarier Alirio Uribe berichtete, dass es trotz der friedlichen Demonstranten auf dem Bolívar-Platz (Plaza de Bolívar) "viel Repression und Angriffe auf die Jugendlichen" in den anliegenden Straße gegeben habe. "Die Polizei folgt den Anweisungen nicht", beklagte er.

"Defender la libertad" beanstandete auch, dass die Polizei den vorgegebenen Verfahren bei Festnahmen nicht Folge geleistet hat. Sie habe Festgenommene über mehrere Stunden an unbekannten Orten festgehalten, anstatt sie sofort in offizielle Sammelpunkte zu bringen. Viele von ihnen hat die Polizei nach der Festnahme weiter geschlagen. Im nordwestlichen Stadtbezirk Suba ist ein Esmad-Polizist dabei gefilmt worden, wie er mit einem 12-Kaliber-Gewehr unmittelbar auf einen jugendlichen Demonstranten schießt . Mit einer Waffe dieses Typs hatte die Esmad im November den 18-jährigen Dylan Cruz getötet. Die Verwaltungsstaatsanwaltschaft hatte deshalb die Esmad aufgefordert, entsprechende Waffen nicht mehr zu benutzen. Die Polizei hat die Aufforderung zurückgewiesen und nutzt die Waffe weiter.

Die Protestbewegung fordert seit dem ersten großen Generalstreik am 21. November die Auflösung der Esmad. Die Polizeieinheit hatte in ihrer 20-jährigen Geschichte vor Dylan Cruz 43 Menschen getötet, circa1.000 Personen willkürlich festgenommen und acht an den Augen schwer verletzt. Die Stadtregierung López ist allerdings gegen die Abschaffung der Esmad.

Die Proteste gegen Duque sollen unbeachtet der Gewalt weitergehen. Vor Ende Januar finden landesweit lokale Treffen statt und für den 30. und 31. Januar ist ein nationaler Gipfel mit Delegierten aus Basisorganisationen geplant, die gegen die neoliberale und repressive Politik Duques mobil machen.