Coronavirus in Lateinamerika ‒ eine aktuelle Übersicht

Brasilien, Chile und Ecuador am stärksten betroffen. Rechte Regierungen schützen Unternehmen und geben Militär mehr Befugnisse. Hilfe kommt aus Kuba, Russland und China

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Auch in Brasilien, wie hier in Salvador, kommt man den Auswirkungen von Covid-19 kaum hinterher
Auch in Brasilien, wie hier in Salvador, kommt man den Auswirkungen von Covid-19 kaum hinterher

Brasilía u.a. Die Zahl der nachgewiesenen Fälle von Corona-Infizierungen in Lateinamerika steigt weiter an, wenngleich noch immer weniger stark als in europäischen Ländern oder den USA. Weniger Testungen, abgelegenere Wohnorte, weniger gut ausgestattete Gesundheitssysteme, eine besondere Form von "Message Control" oder schlicht weniger Infektionen – die Gründe dürften vielfältig sein. Mit Abstand am stärksten betroffen sind nach Zahlen der Johns-Hopkins-Universität von Samstagabend bisher Brasilien (3.904 positiv Getestete/111Tote), Chile (1.909/6) und Ecuador (1.823/48). Hier ein Überblick einiger Entwicklungen ausgewählter Länder der vergangenen Tage:

Mexiko zog in dieser Woche erst recht verhalten mit Verschärfung der Maßnahmen nach. Erst seit Donnerstag sind öffentliche Veranstaltungen, die nicht unbedingt notwendig sind, abzusagen. Gestern wies Präsident Andres Manuel López Obrador dann doch die Bevölkerung an, nach Möglichkeit zuhause zu bleiben. Unter der Woche stoppte die Regierung die Möglichkeit zur Antragsstellung auf Asyl.

Kuba bot Argentinien die Sendung von Ärzten zur Unterstützung der dortigen Versorgung an. Außerdem wurde am Donnerstag ein Flugzeug aus Havanna geschickt, um Infizierte nach Kuba zu bringen, sollte das Gesundheitssystem dort zusammenbrechen bzw. um denen zu helfen, die sehr abgelegen wohnen. Am heutigen Sonntag wird ein zweites Flugzeug erwartet. Anfang April sollen 500 kubanische Ärzte auf Bitte der Provinz Buenos Aires ankommen, um vor Ort auszuhelfen. Das vorerst letzte reguläre Flugzeug mit Argentiniern, die sich im Ausland aufgehalten haben, soll Freitagabend in Buenos Aires gelandet sein. Seitdem müssen die geschätzt 10.000 im Ausland Verbliebenen "bis auf Weiteres" auch dort bleiben.

Ecuador hat bereits einen Kredit über 500 Millionen US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds (IWF) wegen des Coronavirus gewährt bekommen. Präsident Lenín Moreno zahlt gleichzeitig private Gläubiger aus, erzählt der Bevölkerung aber, ohne neue Kredite für den Staat könnte sich bald der einzelne Bürger keine Medikamente mehr in Apotheken leisten. In der am stärksten betroffenen Region des Landes, in Guayas, müssen derweil Leichname von Corona-Toten auf offener Straße längere Zeit auf ihre Abholung warten, wie die Zeitung La Hora berichtet. Die Situation im größten Krankenhaus des Landes in Guayaquil beschreiben Ärzte als "komplett außer Kontrolle".

De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez hat in Bolivien den "sanitären Notstand" ausgerufen. Das beinhaltet auch mehr Befugnisse für das Militär. Die Putsch-Regierung hat zudem eine 14-tägige Quarantäne angeordnet. Die ursprünglich für den 3. Mai geplanten und wegen der Ausbreitung des Coronavirus verschobenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sollen nun zwischen dem 7. Juni und 6. September abgehalten werden, wie das Oberste Wahlgericht am Donnerstag bekanntgab.

In Brasilien gab es in dieser Woche immer mehr Gegenwind für Präsident Jair Bolsonaro. Die Gouverneure von 26 der 27 Bundesstaaten haben sich gegen seine (Nicht-)Maßnahmen gewandt und trafen sich ohne ihn, um ein weiteres Vorgehen zu besprechen. Der Präsident weigert sich noch immer das Ergebnis seines letzten Tests auf das Coronavirus öffentlich zu machen. Bis Donnerstag waren aus seinem engeren Umfeld schon 25 Personen positiv getestet worden. In einigen Favelas beginnen die Leute sich bereits selbst zu organisieren.

Die Regierung in Chile geht auch nach Monaten der Proteste ihren Weg des Neoliberalismus weiter: Arbeitnehmer, die aufgrund der Einschränkungen der Corona-Pandemie nicht arbeiten können, müssen von ihren Arbeitsgebern für vier Monate nicht mehr bezahlt werden. Gleiches hatte auch Bolsonaro in Brasilien per Dekret angestrebt, er ruderte wegen des zu großen öffentlichen Drucks dann aber erstmal zurück.

Auch die Regierung in Uruguay hat angekündigt, Renten und Gehälter Angestellter des öffentlichen Dienstes zu kürzen, allerdings nur zwischen fünf und 20 Prozent.

In Venezuela gibt es nach Angaben der Regierung derzeit 113 bestätigte Infektionen und zwei Todesfälle. Präsident Nicolás Maduro hatte am 12. März den Coronavirus-Notfall ausgerufen und am 17. März eine landesweite Ausgangssperre angeordnet, die die Bewegungsfreiheit einschränkt und den Einzelhandel mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Drogerien und Apotheken lahmlegt. Mit verschiedenen Wirtschaftsmaßnahmen (u.a. Aussetzung von Miet- und Darlehenszinszahlungen, Übernahme der Löhne kleiner und mittlerer Unternehmen durch den Staat, Schutz vor Kündigungen) soll die Bevölkerung vor den ökonomischen Folgen der Coronavirus-Krise geschützt werden. Um das Virus einzudämmen erhält Venezuela umfangreiche Hilfe aus China, Kuba und Russland.

Die Liste lateinamerikanischer Länder, die China um Hilfe bei der Bekämpfung gegen die Pandemie bitten oder vereinbart haben, wird länger. Die Nachrichtenagentur Reuters zählt folgende Länder auf: Argentinien, Brasilien, Chile, Peru, Mexiko, Ecuador und Venezuela. Während die USA weiter einen Keil in die lateinamerikanische Gemeinschaft treibt, wie in dieser Woche erst die Anklage gegen die venezolanische Regierung zeigte, verbessert China die Beziehungen.

Eine "positiv gestimmte" Herangehensweisen an die Pandemie und deren noch immer nicht absehbare Folgen legt Morgan Stanley an den Tag: Die US-amerikanische Investmentbank empfiehlt Anlegern bereits jetzt, bei ersten Zeichen einer Stabilisierung der Lage in Lateinamerika zu investieren, vor allem in Brasilien, Peru und Mexiko.